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Die 7 Todsünden im Musentempel
In Hamburg läuft ein Theaterstück zum Skandalfall Elbphilharmonie
Der Ort ist legendär: Einst war die sandige Halbinsel vor den Toren der Stadt der öffentliche Hinrichtungsplatz, wo auch Klaus Störtebeker geköpft wurde. 1875 wurde dort ein Speicher errichtet, der Westturm war das Wahrzeichen des Hamburger Hafens – bis zur Bombardierung im Zweiten Weltkrieg. Später wurde dort der Kaispeicher A zur Lagerung von Kakao, Tabak und Tee erbaut. Ende des letzten Jahrtausends verlor dieser indes aufgrund der Verlagerung des Schüttguthandels seine Bedeutung. Dann wurde eine neue Idee zur Nutzung des leer stehenden Speichers geboren: Ein Kulturtempel der Superklasse sollte es werden – die Elbphilharmonie.
Esprit, Witz, tolle Musik
Die Planung der Elbphilharmonie brachte einigen Architekten Ruhm und Ehre, die Umsetzung des Projekt kostete einige Politiker eine Menge Nerven, einem Verantwortlichen den Job – und die Hansestadt sehr viel Geld. Die Geschichte der Elbphilharmonie wurde schließlich zur Vorlage für das Theaterstück »Die 7 Todsünden« im Hamburger »Polittbüro« am Steindamm. Es entstand eine vielschichtige temporeiche Eigenproduktion mit Esprit, Wortwitz, toller Musik und tollen Darstellern. Nachrichten über die Kostenexplosion der Elbphilharmonie von ursprünglich 77 Millionen Euro auf unterdessen wohl 500 Millionen Euro mit aufsteigender Tendenz beschäftigen seit Jahren die regionalen Medien. Das Millionengrab bot auch künstlerische Inspiration für die Kabarettistin Lisa Politt und ihren Partner Gunter Schmidt. Sie baten den Tübinger Drehbuchautor Joachim Zelter, eine Vorlage für ein Theaterstück zu schreiben, warben im Kollegenkreis um Unterstützung für Text und Musik, und gewannen den Satiriker Ecco Meinecke, den Schauspieler und Sänger Gustav-Peter Wöhler sowie dessen Kollegin Karoline Eichhorn für die Mitwirkung.
Meinecke ist bekannt aus der Lach- und Schiessgesellschaft, Wöhler unter anderem als Depp vom Dienst auf der Wache des »SK Kölsch«, und Karoline Eichhorn zog mit dem Thriller »Der Sandmann« – ein grandioses verbales Duell mit Götz George – die Aufmerksamkeit des TV-Publikums auf sich. Eine großartige, mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin, die ihr Talent auf der Bühne des »Polittbüro« auf angenehm zurückhaltende Weise unter Beweis stellt.
Schauplatz des Stücks: eine nicht näher bezeichnete Hansestadt. Hauptdarsteller: die 7 Todsünden – die Trägheit, der Hochmut, die Völlerei, die Wut, die Habsucht, der Neid und die Wollust. Die Handlung ist schnell erzählt: Herr Du Mont (Meinecke beziehungsweise Wöhler) steht vor einer schier unlösbaren Aufgabe: Termine sind geplant, Verträge mit Weltstars geschlossen – doch der Kulturtempel wird und wird nicht fertig, zudem steigen die Kosten in astronomische Höhen. Als Prellbock für die Öffentlichkeit engagiert er eine Assistentin (Politt), die wiederum ihren Frust an ihrem Assistenten (Schmidt) auslässt. Dann taucht auch noch eine sich selbst als Künstlerin bezeichnende, offensichtlich verwirrte Frau (Eichhorn) auf, die zusätzlich reichlich Chaos stiftet.
Die Umsetzung ist nicht ganz so einfach zu beschreiben: »Ist es ein Theaterstück?« – »Nee, dazu wird zu viel gesungen.« – »Eine Revue?«, wird in der Pause im Publikum gerätselt. »Nee, da wird ja getanzt.« – »Ein Musical vielleicht?« – »Ja, das könnte es sein, es wird ja viel gesungen.«
Niedergang der Hochkultur
Bei der Wiederholung des letzten Liedes, dem Schlusssong »Die Elbphilharmonie« von Georg Kreisler, wird geschunkelt und getanzt, Beine werden in die Höhe gestreckt, dass so manches Funkenmariechen vor Neid erblasst wäre. Also doch eine Revue? Doch was es auch immer ist – es ist einfach erfrischend und herrlich ehrlich. So macht sogar die Elbphilharmonie Spaß! Noch bis zum 30. Juni 2010 wird im »Polittbüro« der Niedergang der Hochkultur ausgelassen gefeiert.
Die 7 Todsünden, »Polittbüro«, Steindamm 45, 20099 HH, 20 Uhr (täglich außer Mo)
Infos unter: www.polittbuero.de
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