Die Pathologen des Systems
Fachgespräch der Grünen zur Aufarbeitung der Finanzkrise
Das Fazit von Monika Heinold, der parlamentarischen Geschäftsführerin der Grünen im Landtag von Schleswig-Holstein, klingt ernüchternd: Die Geschäfte der Landesbanken seien »zu komplex«, als dass sie von Abgeordneten kontrolliert werden könnten. Wirklich nicht leicht haben es die Mitglieder der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse, die sich mit den einzelnen Pleiten beschäftigen und die Ralf Holub, Vorsitzender des Untersuchungsausschusses Hypo Alpe Adria, als »Pathologen des Systems« bezeichnet. Mal erhalten sie zu wenige Informationen, mal zu viele, mal falsche. Der Aufklärungswille sei gering, klagt Antje Hermenau, Fraktionsvorsitzende der Grünen in Sachsen. »Alle sind froh, dass es vorbei ist.«
»Aktendeckel auf!« lautet der Titel des Fachgesprächs der grünen Bundestragsfraktion zur politischen und juristischen Aufarbeitung der Finanzmarktkrise am Montag im Berliner Paul-Löbe-Haus. Doch selbst das hilft nicht immer: So kritisiert Heinold, dass die Untersuchungsausschüsse zu Geheimausschüssen mutierten, wenn ihre Mitglieder kein Recht hätten, die darin enthaltenen Informationen zu verwenden – wegen der Geschäftsgeheimnisse.
Die juristische Aufarbeitung scheint kaum einfacher zu sein. Nur Stefan Ortseifen, der frühere Vorstandsvorsitzende der IKB, stehe bislang im Zusammenhang mit der Finanzkrise vor Gericht, berichtet Vera Junker von der Vereinigung Berliner Staatsanwälte. Zwar werde gegen viele weitere Personen ermittelt. Doch seien die Gesetze – etwa der Strafbestand der Untreue – »zu sperrig« und die Ermittlungen eine »personalintensive Sache«, die sich manche Länder gar nicht leisten könnten. Junker erhält Applaus mit ihrer Forderung nach einer »Taskforce« auf Bundesebene.
So schwierig es zu sein scheint, Straftaten einzelner Verantwortlicher nachzuweisen, so einfach scheint ist es offenbar, die Entscheidungen vieler Akteure zu erklären. Von der Arroganz und Ignoranz der Landespolitiker spricht Sepp Dürr, grüner Abgeordneter in Bayern und Mitglied des Untersuchungsausschusses zur Bayern LB, von »politischem Größenwahn« aber auch von klaren politischen Zielsetzungen. »Alle haben sich gefreut, wenn Cash in die Landeskasse kam«, sagt Monika Heinold. Und Holub, der den 23-seitigen Vertrag zum Kauf der Hypo Alpe Adria gelesen hat, kam zu dem Ergebnis: »Ich als Schlagzeuger hätte den Vertrag nicht unterschrieben.« Von fragwürdigen Entscheidungs- und Beratungsstrukturen zwischen staatlichen Akteuren und privaten Unternehmen ist die Rede, von den Interessenkonflikten der Ratingagenturen und der stillen Beobachterrolle der Bankenaufsichten.
Nur warum es eine goldene Regel zu sein scheint, dass Landesbanken mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit früher oder später in Schwierigkeiten geraten als Banken der Privatwirtschaft, war kaum Thema der Veranstaltung. Stattdessen betonte der finanzpolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Gerhard Schick, am Beispiel der Hypo Real Estate den »privaten Größenwahn«. Vielleicht hätte die Behandlung der speziellen Kombination aus den Verlockungen des Marktes und den Sicherheiten des Staates schon zu sehr die »tiefer liegenden systemischen Ursachen« berührt, die ein Teilnehmer gern besprochen haben wollte – was das Podium aber weitgehend ignorierte.
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