Treibende Kraft oder Getriebene?

Chefin der NRW-SPD will trotz massiven Drucks keine Regierung bilden

  • Marcus Meier, Köln
  • Lesedauer: 4 Min.
Die NRW-SPD will von den Parlamentsbänken aus »regieren« und die schwarz-gelbe Regierung kommissarisch im Amt belassen. Damit bliebe Merkels Mehrheit im Bundesrat bestehen. Die Folgen wären fatal. Entsprechend fällt die Kritik nicht immer diplomatisch aus.

Werden sie den Bundesrat ungeschoren passieren: das knallharte Sparpaket, die AKW-Laufzeit-Verlängerung, die unsoziale Kopfpauschale im Gesundheitswesen? Schlittern wir also in eine andere Republik? Ja, wenn die schwarz-gelbe Mehrheit in der Länderkammer bestehen bleibt. Aber nicht, sofern in Nordrhein-Westfalen eine neue Landesregierung gebildet wird. Und zwar irgendeine: Denn in jeder Konstellation würde Schwarz-Gelb die Macht im bevölkerungsreichsten Bundesland verlieren. Und damit nicht mehr die sechs NRW-Stimmen im Bundesrat kontrollieren. Merkels Mehrheit dort wäre Geschichte. Eine Sperrminorität würde schwarz-gelbe Gesetze stoppen oder abmildern. Die Koalition könnte nicht gnadenlos durchregieren wider die Interessen der Bevölkerungsmehrheit.

Das Zepter des Handelns hält Hannelore Kraft in der Hand: Ohne Krafts Sozialdemokratie kann in NRW keine Regierung entstehen. Doch Kraft, Partei- und Fraktionschefin der NRW-SPD, Spitzenkandidatin, also Ministerpräsidentin in spe, macht bei den bisherigen Verhandlunlgen zwecks Regierungsbildung eine ausgesprochen unglückliche Figur. Auf Sondierungen mit der FDP (Rot-Grün-Gelb), der LINKEN (Rot-Grün-Rot) und der CDU (Große Koalition) folgten keine Koalitionsverhandlungen. Dabei gab nur die FDP Kraft einen Korb. Alle anderen stehen weiterhin parat: Wir wollen weiter verhandeln!, wirbt die CDU. Wir sind zu einer Minderheitsregierung bereit!, betonen die Grünen. Wir werden eine rot-grüne Minderheitsregierung tolerieren, sofern die Inhalte stimmen!, sagen die LINKEN in NRW. Doch möglicherweise ist die Chefin der NRW-SPD eher Getriebene denn treibende Kraft.

Die SPD-Landtagsfraktion soll tief gespalten sein: Ein Drittel will die Große Koalition, ein Drittel neben den Grünen auch die FDP, ein weiteres Drittel hingegen die LINKE ins Boot holen. Das würde ein Stück weit erklären, warum Kraft sich für eine leicht bizarre Option entschied – und zwar ausgerechnet für die einzige, bei der die Bundesratsmehrheit nicht kippen wird: Kraft will CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers und seine Mannen weiter im Amt belassen, um dann »aus dem Parlament heraus« SPD-Inhalte umzusetzen. Genau das hatte auch ihre Genossin Andrea Ypsilanti in Hessen versucht. Doch die Koch-Regierung saß viele schöne Gesetze der rot-grün-roten Landtagsmehrheit aus. Das Wiesbadener Experiment mündete in Neuwahlen. Sieger: Schwarz-Gelb.

Kraft wolle »Symbolpolitik« betreiben, um so »ihre Ausgangslage für Neuwahlen« zu verbessern, glaubt obdessen Klaus Ernst, Bundesvorsitzender der Linkspartei. Doch drohe ihr die »Ypsilanti-Falle«: Ypsilanti habe die hessische SPD »mit Karacho an die Wand gefahren«. Das gleiche Schicksal werde auch Kraft widerfahren, wenn sie bei ihrer jetzigen Strategie bleibe.

Ypsilanti konnte wegen vier Abweichlern in den SPD-Reihen keine Regierung bilden – insbesondere keine Minderheitsregierung. Denn laut hessischer Verfassung wird der Ministerpräsident im Landtag von »mehr als der Hälfte der gesetzlichen Zahl seiner Mitglieder« gewählt. In NRW hingegen reicht notfalls eine einfache Mehrheit. Über eine solche verfügt Rot-Grün. Kraft verschmäht die Option Minderheitsregierung also bewusst.

Damit handelte Kraft sich gestern scharfe Kritik der Grünen ein. Deren Fraktionschefin Sylvia Löhrmann warf Kraft (und Rüttgers) ein »Förderprogramm für Politikverdrossenheit« vor. Die SPD verweigere sich »derzeit zumindest einem Politikwechsel«. Wer einen Wechsel wolle, brauche nicht nur eine parlamentarische Mehrheit für Einzelvorhaben, sondern auch eine andere Landesregierung. Löhrmann plädierte für eine rot-grüne Minderheitsregierung auf Basis eines Koalitionsvertrages. Sie sagte, aus ihrer Sicht könne Kraft bereits bei der nächsten Landtagssitzung am 13. Juli zur Ministerpräsidentin gewählt werden. Wenn Kraft und die SPD eine Minderheitsregierung scheuten, müsse die SPD in eine Große Koalition gehen.

Scharf fällt auch die Kritik aus den Reihen der Linkspartei aus: »Hannelore Kraft trägt nicht nur die Verantwortung dafür, wenn das unsägliche Sparpaket von Schwarz-Gelb den Bundesrat passieren würde, sondern auch für eine Reanimation von Schwarz-Gelb auf Bundesebene«, moniert Klaus Ernst. Der LINKE-Chef lockt Kraft zurück an den Verhandlungstisch: Sie solle »mit der LINKEN verhandeln und eine stabile Regierung gegen Sozialabbau bilden«.

Währenddessen wirft Christdemokrat Jürgen Rüttgers Kraft »Gestaltungsverweigerung« vor. In ihrer Landespartei verfügt Kraft indes – noch? – über formellen Rückhalt: Vorgestern segnete der Landesparteirat ihre Parlamentsbank-Strategie ab und erteilte einer rot-grünen Minderheitsregierung zumindest »derzeit« eine Absage. Auch mit der CDU sollen keine Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden, beschloss das zwischen den Parteitagen höchste SPD-Gremium. Der Parteirat folgte damit Vorschlägen des Landesvorstands, der Krafts Linie also ebenfalls mitträgt. Doch der Druck aus der Bundesspitze wächst: So plädiert Parteichef Sigmar Gabriel für eine Minderheitsregierung – mit Blick auf den Bundesrat.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.