Eine WM eint noch nicht

Südafrikaner bezweifeln erhoffte ethnienübergreifende Wirkung

  • Ronny Blaschke, Kapstadt
  • Lesedauer: 3 Min.

Scara Matiwane muss lachen, als ihm der Ball auf dem huckeligen Rasen über den rechten Spann springt, denn er weiß: er hat andere Sorgen. Seine Jungs sind aus allen Ecken von Gugulethu gekommen, einem Township im Süden Kapstadts. »Annehmen und Pass!« Trainer Matiwane ruft, seine Schüler folgen. Sie sind zwischen sieben und zehn Jahre alt, mit aufgerissenen Augen verfolgen sie den Ball wie unter Hypnose. Auf der Straße stehen Mittelklasseautos vor Mittelklassehäusern, doch zwei Kreuzungen weiter dominieren Blechhütten und Bretterverschläge. 330 000 Schwarze leben in Guguletho. Auch Matiwane, 26, der den Kopf schüttelt: »Die Apartheid ist offiziell vorbei, aber eine Trennung gibt es noch immer. Das wird gerade im Fußball deutlich.«

Keith Broad hat als Treffpunkt ein Café an der Waterfront vorgeschlagen, im Konsumkosmos Kapstadts. Broad trägt Sportanzug und breites Grinsen. Der 59-Jährige ist wie Scara Matiwane Symbolfigur des südafrikanischen Fußballs. Als erster Weißer hatte er für die Orlando Pirates gespielt, beheimatet in Soweto, dem größten Township des Landes, nahe Johannesburg. Dreißig Jahre ist das her. Seitdem hat sich vieles geändert und ist doch vieles geblieben. Er sagt: »Die WM ist vor allem gute Absicht.«

Broad und Matiwane kennen sich nicht. Doch was sie über ihr Land vor der WM gehört haben, finden sie überzogen. »Wenn wir die WM organisieren können«, hatte ihr Organisationschef Danny Jordaan gesagt, »dann haben wir die Ideologie der Apartheid endgültig widerlegt.« »Das ich nicht lache«, lästert Matiwane. »Die Grenzen verlaufen im Sport deutlicher als in anderen Bereichen.«

Matiwane galt selbst als großes Talent, durfte bei Ajax Amsterdam vorspielen. Er gehört zur Brücken-Generation, die trotz schlechter Schulbildung in den Townships nun ihren Platz in Südafrikas Mittelschicht sucht. Tagsüber arbeitet er in einer Drogerie. »Wenn das Turnier vorbei ist, werden auch nicht mehr Weiße in unsere Stadien kommen.«

Keith Broad erinnert sich: Er stellte den Fußball über Rugby, über das Identitätssymbol der Minderheitenregierung. Als die Rassengrenzen langsam aufweichten, wechselte er 1980 nach Soweto und erhielt Morddrohungen. Bei einem Spiel drängten Zehntausende aufs Feld. Der Schiedsrichter wollte das Spiel abbrechen. Broad flehte: »Bitte nicht, das wäre unser Tod.« Sie spielten weiter, Broad schoss die Pirates zum Sieg.

Scara Matiwane kennt die Heldengeschichten von einst, aber sie helfen ihm in Gugulethu nicht weiter. Unterstützung erhält er für sein Projekt nicht. Viele Schulen in den Townships sind in einem traurigen Zustand. Auch Keith Broad schimpft über das Bildungssystem. Seine Söhne gehen in Hout Bay zur Schule, einem Vorort im Süden mit hohen Immobilienpreisen. Fußball spielen sie nur in den Ferien, da im Unterricht lediglich Rugby oder Cricket angeboten wird. »Jugendliche sollten eine Wahl haben. Weiße werden im Fußball benachteiligt.« Die großen Klubs wie die Orlando Pirates oder die Kaizer Chiefs werden von schwarzen Unternehmern geführt.

Weiße stellen dagegen noch immer mehr als neunzig Prozent der Rugbyspieler. Ob Rugby in die Schulen der Townships einziehen soll? »Unmöglich«, antwortet Matiwane. »Dann könnten wir auch wieder Afrikaans sprechen, die Sprache der Weißen.«

Vier Mal in der Woche kickt Scara Matiwane mit den Jungs aus der Nachbarschaft. »Sie haben den Hass von früher nicht erlebt. Wenn wir ihnen Orientierung bieten, haben sie gute Chancen. Aber mit einer WM ist nicht alles getan.«

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