Stelldichein im Ciragan-Palast

In Istanbul beraten Staats- und Regierungschefs südosteuropäischer Länder / Gipfel soll südosteuropäische Kooperation intensivieren – und die Rolle der Türkei stärken

  • Jan Keetman, Istanbul
  • Lesedauer: 6 Min.
Am heutigen Mittwoch findet in Istanbul ein Gipfeltreffen von Staats- und Regierungschefs südosteuropäischer Länder statt. Die elf Staaten haben sich im Kooperationsrat für Südosteuropa (SEECP) zusammengeschlossen, um die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit zu verstärken und die Bindungen an die EU zu festigen.
Über nicht weniger als die strategische Entwicklung in der Region und den angrenzenden Gebieten wolle man sprechen, hieß es vor dem Gipfel aus Ankara. Die Türkei hat gegenwärtig den Vorsitz im SEECP inne. Ob es jedoch spektakuläre Erklärungen, etwa eine Stellungnahme zu den Sanktionen gegen Iran oder eine Resolution zur Gaza-Blockade geben wird, war bis zum Dienstag noch offen. Im »Fall Gaza« könnte es immerhin sein, dass die Türkei und Griechenland am gleichen Strang ziehen. Nicht ganz ausgeschlossen ist auch ein teilweiser Schulterschluss beider Staaten in der Iran-Frage. Ein drittes Land, das in diese Richtung gehen könnte, ist Bosnien-Herzegowina.

Auf dem Gipfelprogramm dürften auch die EU-Ambitionen der Staaten des westlichen Balkans stehen. Darunter will man Albanien und die Zerfalls- und Zerschlagungsprodukte Jugoslawiens verstanden wissen. Erst zu Monatsbeginn hatten die Vertreter Brüssels bei einem Treffen in Sarajevo die Beitrittsperspektive für den Westbalkan bekräftigt. »Die Zukunft des Westbalkans liegt in der Europäischen Union«, betonte der spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos, dessen Land derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Wegen der Euro-Krise hatten viele der ärmeren Balkanstaaten gefürchtet, die EU könne eine neuerliche Erweiterung verlangsamen wollen. Allerdings wurden die Länder der Region aufgefordert, ihre Anstrengungen zum Erreichen der Beitrittskriterien zu verstärken, hieß es an die Adresse Albaniens, Bosniens, Kosovos, Kroatiens, Mazedoniens, Montenegros und Serbiens. In der vergangenen Woche gaben die EU-Außenminister ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Belgrad frei, das als Vorstufe zu einer späteren Mitgliedschaft gilt. Zuvor hatten die Niederlande ihren Vorbehalt aufgegeben. Den Haag hatte von Serbien ein stärkeres Engagement bei der Suche nach dem mutmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic verlangt.

Es fällt auf, dass das SEECP-Treffen schon der dritte bedeutende Gipfel in Istanbul in diesem Monat ist. Zunächst hatte die Konferenz für Zusammenarbeit und vertrauensfördernde Maßnahmen in Asien in Istanbul getagt. Kurz darauf trafen sich die Außenminister der Arabischen Liga zu einer mittlerweile regelmäßig in Istanbul stattfindenden arabisch-türkischen Tagung. Dabei wurden weitgehende Projekte, wie eine Wirtschaftsunion, ins Auge gefasst.

Der rege diplomatische Verkehr auf hoher und höchster Ebene belegt es: Die Türkei ist tatsächlich von einem Hinterhof der Weltpolitik zu einem Zentrum mit eigener Ausstrahlungskraft geworden. Dabei fällt auf, dass nicht die anatolische Hauptstadt Ankara, sondern Istanbul der Ort der Begegnungen ist. Denn kein Ort könnte besser die Brückenfunktion der Türkei symbolisieren als die sich auf zwei Kontinenten erstreckende Metropole. Der frühere USA-Präsident George Bush ließ sich nicht von ungefähr anlässlich eines NATO-Gipfels gerade vor einer der großen Bosporus-Brücken ablichten. Die Seestadt zwischen zwei Meeren ist zudem das Symbol für neue ökonomische Stärke, während Ankara nur für Verwaltung steht. Nach Istanbul, so hofft man zumindest, soll im Gefolge der gestiegenen außenpolitischen Bedeutung auch das Kapital strömen, insbesondere die reichen Araber sollen ihr Geld hier investieren. Istanbul soll zu einem neuen Bankenzentrum werden, ein zweites London im Südosten Europas.

Eines der Geheimnisse des türkischen Erfolges ist neben der günstigen geografischen Lage und geschickter Diplomatie auch die Opposition zu den USA. Die absolute Dominanz der Vereinigten Staaten in der Weltpolitik wird überall als drückend empfunden. Nur zu gern suchen Regierungen Gelegenheiten, unabhängig von den USA außenpolitische Ziele umsetzen zu können. Regionale Zusammenschlüsse, in denen die USA nicht direkt vertreten sind, wie die EU und die Arabische Liga, bieten hierzu einen Rahmen. Dies um so mehr, wenn der Gastgeber mit seiner Stimme im UN-Sicherheitsrat gerade erst gezeigt hat, dass er auch gegen die USA stimmen kann. Das Votum der Türkei gegen die Iran-Sanktionen war ein Signal dafür, dass Ankara eigene Politik machen kann – und dass andere Staaten gemeinsam mit der Türkei unabhängige Politik gestalten können.

Daher ist ein zu einem Hotel umgebauter alter Sultanspalast am Bosporus zu einem beliebten Ausflugsziel für Spitzenpolitiker geworden – auch für die SEECP-Vertreter. An dem nach der osmanischen Festbeleuchtung Ciragan genannten Ort können die größeren und kleineren Lichter der internationalen Politik abseits von Washington etwas leuchten. Allerdings gehören zu den ebenfalls zum Gipfel geladenen internationalen Institutionen neben der EU auch die OSZE, die UNO und die NATO. Und mit ihnen sitzen die USA faktisch doch wieder am Tisch.


Das Stichwort - SEECP

In Gestalt des Kooperationsrats für Südosteuropa, mitunter auch als Südosteuropäischer Kooperationsprozess bezeichnet, ist im Jahr 1996 ein regionales Forum für die Staaten Südosteuropas gegründet worden, das die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern fördern und als einheitliches Sprachrohr der Region zur Welt dienen soll. Daneben soll der SEECP (South-East European Cooperation Process) den Erhalt eines dauerhaften Friedens und der Stabilität in Südosteuropa fördern. Dem Kooperationsrat gehören Albanien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Griechenland, Kroatien, Mazedonien, Moldova, Montenegro, Rumänien, Serbien und die Türkei an. (ND)

EU-Strategie - Griff nach Osten

Der Südosteuropa-Gipfel findet nur wenige Wochen nach dem ersten Jahrestag der EU-Ostpartnerschaft statt. Im Mai 2009 hatte die Europäische Union mit sechs osteuropäischen Staaten in Prag eine neue Form der Zusammenarbeit begründet. Die »östliche Partnerschaft«, ein Schwerpunkt der damaligen tschechischen Ratspräsidentschaft, soll Armenien, Aserbaidshan, Georgien, Moldova, die Ukraine und Belarus enger an die EU binden, nicht jedoch zu ihrer Aufnahme in die Gemeinschaft führen. Bereits seit 2004 sind diese Staaten in die sogenannte Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) einbezogen. Die im Rahmen der ENP für die neuen Partnerstaaten bereitgestellten 250 Millionen Euro sollen im Zeitraum bis 2013 um 350 Millionen aufgestockt werden.

Obwohl es Brüssel offiziell um eine »ehrgeizige Partnerschaft« geht, ist bislang wenig geschehen. Weder wurde die angekündigte »neue Generation von Assoziierungsabkommen« in Angriff genommen noch gab es Fortschritte bei der Integration der Sechsergruppe in die EU-Wirtschaft oder bei der Erleichterung von Einreisen in die EU.

Wie vorgesehen wurde allerdings das politische Engagement der EU verstärkt. Nicht ohne Grund, geht es Brüssel doch vor allem um Stabilität sowie die Unterstützung bzw. Installation westlich orientierter Regierungen in den osteuropäischen Staaten: Die Ukraine und Belarus sind Transitländer für Erdgaslieferungen aus Russland nach Westeuropa – und damit für die EU von strategischer Bedeutung. Georgien und Armenien nehmen Schlüsselpositionen bei der geplanten Nabucco-Pipeline ein, mit der Erdgas vom Kaspischen Meer und aus Zentralasien unter Umgehung Russlands direkt nach Europa geliefert werden soll. Aus Aserbai-dshan fließt Öl über die Transkaukasus-Pipeline Baku-Tbilissi-Ceyhan Richtung Europa. (sat)

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.