Entdeckungen am Dach der Welt

Das Pamirgebirge in Tadshikistan lockt mit fast unberührter Wildnis

  • Ute Müller
  • Lesedauer: 6 Min.

Gulandon Imomnazarowa strahlt übers ganze Gesicht. »Willkommen im Paradies«, sagt die 37-Jährige und zeigt auf die blühenden Obstbäume in ihrem Garten. Dahinter ranken die weißen Gipfel des Pamirs, des zweithöchsten Gebirges der Welt, in den tiefblauen Himmel. Wir befinden uns in Chorug, dem größten Ort der abgeschnittenen Region Berg-Badachschan, rund 550 Kilometer südöstlich von Tadshikistans Hauptstadt Duschanbe.

Gulandon hat eine üppige Tafel für ihre Gäste vorbereitet, sechs Nachbarinnen haben ihr dabei geholfen. Tadshikistan ist ein muslimisches Land, doch wie fast alle Bewohner der Pamirregion ist Gulandon Ismailitin und vertritt damit eine vergleichsweise liberale Richtung des Islam. Frauen sind in der Regel unverschleiert und tragen bestenfalls ein kleines Kopftuch »Wir halten hier alle zusammen und lassen uns von den Männern nichts vorschreiben«, sagt sie und lacht. Gulandon, die früher als Trachtennäherin ihr Geld verdiente, firmiert als Inhaberin einer kleinen Herberge, ihre Freundin Nigiva betreibt einen eigenen Laden.

Stolz zeigt man uns das Foto des Aga Khan, des geistigen Oberhaupts der Ismailiten. Sein Bild hängt in jedem Haus im Pamirgebirge, der Heimat der rund 200 000 Ismailiten in Tadshikistan und dem benachbarten Afghanistan. Doch jetzt ist erst einmal Essenszeit. Wir sitzen im Schneidersitz auf Sitzkissen um die erhöhte Tafel mit ihren typischen Holzbalken. Tagsüber dient die Tafelbank als Ess- und nachts als Schlafplatz.

Der wahre Herrscher ist der Aga Khan

Knappe 15 Stunden dauerte die Anreise von Duschanbe nach Chorugh. Der Geländewagen wand sich unentwegt entlang enger Schluchten, schwindelerregender Bergpässe und überquerte zahlreiche reißende Gebirgsbäche. Es war ein Glück, dass kein Erdrutsch den Weg blockierte, das kommt nämlich häufig vor. Mit dem Helikopter verkürzt sich die Reisezeit auf 75 Minuten, doch der fliegt nur bei guter Sicht über die Fünf- und Sechstausender. Außerhalb der Sommermonate bleiben aber fast immer Wolken in den Gipfeln hängen.

Gulandon hat sich am Fuße des Pamirgebirges eine neue Existenz aufgebaut. Sie floh mit ihrem Mann aus der Hauptstadt während der Wirren des Bürgerkriegs (1992 bis 1997), der in Tadshikistan nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem dadurch entstandenen Machtvakuum ausbrach. Bis heute hat sich das zentralasiatische Land nicht davon erholt, laut Statistik ist Tadshikistan eines der ärmsten Länder der Welt.

Zumindest in Chorug mit seinen gepflegten Parkanlagen ist davon wenig zu spüren. Auch Präsident Emomali Rachmonow, der das Land seit achtzehn Jahren mit eiserner Hand regiert, hat hier eine imposante Sommerresidenz, direkt neben dem botanischen Garten. Die Bewohner sind stolz auf ihre »University of Central Asia«, die ebenfalls von der Aga-Khan-Stiftung errichtete wurde. Der Aga Khan war es auch, der während des Bürgerkriegs Lebensmittel in die abgeschiedene Region einfliegen ließ. Für die Menschen hier ist er der wahre Herrscher.

»Wir verdanken ihm viel«, sagt Taxifahrer Yusuf Bakthaliew. Ebenso wie Gulandon hat auch er es geschafft, sich mit dem Tourismus ein Zubrot zu verdienen. Anders als in den nahe gelegenen Himalaja verirren sich bisher wenige Besucher hierher, noch gilt das raue Land als Geheimtipp für Abenteuertouristen, Bergsteiger – am nordwestlichen Rand des Pamirgebirges erhebt sich der Pik Ismoil Somoni (früher Pik Stalin) mit einer Höhe von 7495 Metern – und Jäger.

In den schwer zugänglichen Hochgebirgsregionen zwischen Tadshikistan und Afghanistan soll es noch einzelne Bestände der legendären Marco-Polo-Schafe geben, benannt nach dem berühmten Weltreisenden, der im 13. Jahrhundert durch den Pamir kam und als erster »wilde Tiere mit riesigen Hörnern« beschrieb. Inzwischen sind die kuriosen Schafe vom Aussterben bedroht und stehen unter Schutz, doch gegen die Zahlung von etwa 20 000 Dollar erhält man eine Jagdgenehmigung – es ist nicht anders als in den meisten anderen GUS-Staaten. Der Devisenmangel ermöglicht betuchten Waidmännern aus dem Ausland, in fast unberührten Naturparadiesen auf Pirsch zu gehen.

Drehkreuz der Kulturen

Am nächsten Tag starten wir unseren Trip ins Pamirgebirge, das die Tadshiken »Bam-I-Danja«, das »Dach der Welt« bezeichnen. Wir treffen zwar keine Marco-Polo-Schafe, dafür aber kreuzen viele ganz gewöhnliche Schafherden die steinige Piste. Es geht immer entlang des Pjandsh-Flusses, der die natürliche Grenze zu Afghanistan bildet. Während der Sowjetzeit war die eintausend Kilometer lange Grenze geschlossen, jetzt gibt es mehrere Brücken ins Nachbarland, wo die Tadshiken immerhin ein Viertel der Bevölkerung stellen. »75 Jahre waren hier ganze Familien getrennt«, sagt Shagarf Mullo-Abdol, der Touristengruppen umherführt, »wer nach Afghanistan wollte, musste nach Moskau fliegen und sich ein Visum holen. Jetzt haben wir ein Konsulat in Chorug und das Visumproblem ist gelöst.«

Wer auf der afghanischen Seite nach grimmigen Taliban Ausschau hält, wird enttäuscht. In den fruchtbaren Ebenen vor den imposanten Gipfeln bestellen die Menschen ihre Felder, sieht man Kinder spielen, Frauen Esel treiben, bunte Tücher auf den Dächern der kleinen Häuser trocknen, alles ist völlig friedlich. »Der Konfliktherd ist 1500 Kilometer von hier entfernt«, sagt Ahmed Shukran, Shagarfs bester Freund, »doch leider ist das im Westen nicht bekannt. Wir haben ein Imageproblem.« Ahmed ist Afghane und stammt aus Faizabad. Er ist Spezialist für den nahe gelegenen Wakhan-Korridor, wo auf afghanischem Gelände die Gebirgszüge des Hindukusch, des Karakorum und des Pamir aufeinandertreffen, jahrhundertelang ein Drehkreuz von Völkern und Kulturen.

1200 Seen, die keine Namen tragen

Wir bleiben auf der tadshikischen Seite und beobachten die Yakherden, die hier friedlich grasen. Silsilamo, eine Bäuerin, kommt vorbei und lädt uns ein, ihre Mahlzeit, frische Yakmilch und am Morgen gebackenes Fladenbrot, mit ihr zu teilen. Hier wird Gastfreundschaft überall groß geschrieben. Kurz hinter dem Städtchen Langar passieren wir einen Kontrollposten, er hat sich über die Zeit der Sowjetunion hinaus gehalten. Eine halbe Stunde lang inspizieren Beamte die Pässe, bevor wir weiterfahren dürfen. Dann geht es steil bergauf, über den Khargush Pass (4344 Meter), entlang von Felswänden, die von Gletscherkuppen gekrönt sind. Die Vegetation nimmt allmählich ab, an die Stelle enger Schluchten treten weite Hochebenen, die Piste wird sandig und breit. Zur Linken liegt plötzlich ein See, einfach dahingesprenkelt. »Er hat keinen Namen, du kannst dir einen aussuchen«, sagt Shagarf. Die großzügige Offerte lässt sich erklären, Tadshikistan hat rund 1200 Seen, nicht bei jedem machte man sich die Mühe, ihn extra zu benennen. Ein paar Kilometer weiter, immer auf dem Hochplateau entlang, taucht der riesige Yashilkul-See auf. Smaragdgrün erstreckt er sich auf einer Länge von 19 Kilometern, 3700 Meter über dem Meeresspiegel. Kein Wunder, dass das Atmen schwer fällt, als wir zum Ufer gehen. Die Höhenkrankheit verursacht bei manchem Schwindelgefühle und Übelkeit. Doch die grandiosen Weiten entschädigen.

Wer die Hochgebirgslandschaft ein paar Tage erkunden will, kann in der kleinen Ortschaft Bulunkul unterkommen. Fast schon surreal wirkt der Ort, ein paar Flachbauten liegen verstreut auf einer vegetationsfreien Ebene. Seit ein paar Jahren gibt es hier ein paar sogenannte Homestays, einfachste Unterkünfte bei Gastfamilien. Shagarf kommt hier oft her, für ihn ist die Reise in diese entlegene Mondlandschaft fast schon eine mystische Erfahrung.

  • Infos: Botschaft der Republik Tadshikistan, Perlebergerstr. 43, 10559 Berlin, Tel.: (030) 347 93-00 Fax.: -029, E-Mail: info@botschaft-tadschikistan.de. Für die Einreise ist ein Visum erforderlich.
  • Infos zum Pamirgebirge: www.pamirs.org, www.geocities.org
  • Die beschriebene Tour ist buchbar unter www.pamirsilk.travel,
  • E-Mail: info@pamirsilk.travel; Infos zu Touren durch den Wakhan-Korridor: ahmadshukran@yahoo.com, www.ariaguesthouse.com
  • Literatur: Tadschikistan, Trescher Verlag, 276 Seiten, 140 Farbfotos, ISBN 978-3-89794-160-1, 17,95 Euro
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