Vom Recht auf Anonymität
Heute vor 25 Jahren wurde das Vermummungsverbot in Deutschland eingeführt
Auf Demonstrationen gehörte die Sturmhaube, die »Hasskappe«, zur Arbeitskleidung der autonomen Bewegung, die seit Anfang der 80er Jahre meist schwarz gekleidet, vermummt und militant in Westdeutschland auftrat. Der Bundestag verabschiedete am 28. Juni 1985 eine Novelle des Versammlungsgesetzes, Vermummung wurde zur Ordnungswidrigkeit. Meist waren die Hauben in der Mitte des Gesichts zusammengenäht, so dass nur die Augen zu sehen waren.
Das Vermummungsverbot löste scharfe Kontroversen aus. Auf der einen Seite standen CDU und FDP. Für sie richtete sich das Verbot in erster Linie gegen den schwarzen Block (eine Wortschöpfung eines Frankfurter Staatsanwalts von 1981). Die Argumentation: Wer friedlich demonstrieren will, muss sich nicht unkenntlich machen. Auf der anderen Seite standen Ansichten von SPD, Grünen und Teilen der FDP, die mit dem Verbot Demonstranten unter Generalverdacht gestellt sahen. Auch wurde bei Protesten gegen Nazis oder beispielsweise bei Demos von Exiliranern die Vermummung als Schutz gegen spätere Repression gesehen. Zudem ging es um das damals zunehmende Filmen und Fotografieren von Veranstaltungen durch die Polizei. Die eigene politische Meinung, für die man auf die Straße geht, habe den Staat nichts anzugehen, sagten viele.
Hans-Christian Ströbele war von 1985 bis 1987 und ist seit 1998 Bundestagsabgeordneter. Der Grüne war immer Gegner des Vermummungsverbotes. »Nach wie vor sage ich: Das zu verabschieden, war kein Lichtblick des Rechtsstaates.« Die Argumente gegen das Vermummungsverbot seien die gleichen wie vor 25 Jahren und in gleichem Maße richtig.
Angehörige der autonomen Bewegung erinnern sich, dass das Verbot damals auch bald von der Polizei umgesetzt wurde. Einer erzählt von einer Demonstration im bayrischen Erlangen 1986: »Die ersten Reihen waren komplett vermummt. Es gab einen Knüppeleinsatz der Polizei, und eine Reihe nach der anderen ging unter den Schlägen in die Knie. Irgendwann hieß es ›Kappen runter‹, weil das einfach nicht durchsetzbar war.« In Norddeutschland wurde das Vermummungsverbot anfangs allerdings nicht so konsequent durchgesetzt, erzählt ein anderer. (Sie alle wollen ihre Namen nicht in der Zeitung lesen.) Der Hausbesetzer, der damals in der Hamburger Hafenstraße und in Bremen wohnte, erinnert sich, dass Demos in Hamburg, Bremen oder Berlin noch einige Zeit komplett vermummt liefen, bis – auch als Resultat der tödlichen Schüsse auf Polizisten an der Frankfurter Startbahn West – der Paragraf im Jahr 1989 verschärft wurde. Nun war Vermummung ein Straftatbestand und wurde mit Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder bis zu einem Jahr Haft geahndet.
Für die autonome Bewegung hatte die Vermummung auch eine andere Bedeutung. Es ging bei den Demonstrationen oft um die direkte Auseinandersetzung mit der Polizei. Das Verbot war schließlich auch eine staatliche Antwort auf die Straßenmilitanz der frühen 80er Jahre. »Erst wurde die Passivbewaffnung verboten, dann die Vermummung, heute will die Polizei die Länge der Transparente begrenzen. Die Polizei hat damit Handlungsspielräume zu eskalieren oder deeskalieren – wie es ihr gerade passt«, sagt ein Westberliner Autonomer, der seit der Besetzerbewegung 1982 in Kreuzberg wohnt. Es sei 1985 nicht politisch über den Umgang mit dem Verbot geredet worden, kritisiert er. Vielmehr wurde »militärisch« geguckt, ob die Vermummung durchgesetzt werden kann. Das sei jedoch nur selten gelungen, und die Versuche hätten sich in Berlin bald totgelaufen, obwohl es bei großen Demos immer Ermessensspielräume bei der Polizei gegeben habe.
Er erinnere sich auch an Widerstand innerhalb der Polizei, als der Paragraf 1989 verschärft wurde, sagt Ströbele. »Die Polizei riskiert damit, dass eine Demonstration unkontrollierbar wird.« Er könne sich gut vorstellen, dass es bei mancher Demonstration nicht zur Gewalt gekommen wäre, hätte die Polizei nicht das Vermummungsverbot durchgesetzt.
Der juristische Umgang mit dem Verbot ändert sich seit einigen Jahren. Das erste Urteil, in dem jemand freigesprochen wurde, sei ihr aus dem Jahr 2005 bekannt, sagt die Berliner Rechtsanwältin Anna Luczak. Ein Demonstrant hatte sich bei Antinaziprotesten zum Schutz vor fotografierenden Nazis vermummt. »In den höheren Instanzen ist die Rechtsprechung uneins«, sagt Luczak. Während das Berliner Kammergericht immer den Einzelfall prüfen lassen möchte, befand das Landgericht Hannover die Vermummung zum Schutz vor Repressalien für zulässig. »Die einzig richtige Rechtsauffassung«, findet die Anwältin.
Paragraf 17a Versammlungsgesetz in der Fassung von 1989
(2) Es ist auch verboten,
1. bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzügen oder sonstigen öffentlichen Veranstaltungen in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, teilzunehmen oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurückzulegen,
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