Der Guido und der Bambi

  • Ernst Röhl
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz – Der Guido und der Bambi

Uns erquickt das Schweigen eines großen Redners, und wir fragen uns bang: »Was macht eigentlich der Westerwelle?« Er redete doch immer so viel, wenn der Tag lang war, und was er sagte, war jedes Mal der GAU – der größte anzunehmende Unsinn. Schneidig präsentierte er seine Steuergeschenke für die Reichen und Schönen, abkaufen aber wollte ihm keiner was, schon gar nicht den Schneid. Unvergessen sein empörter Aufschrei: »Ihr! Kauft mir! Den Schneid! Nicht ab!«

Unvergessen auch seine Solidarität mit dem früheren Bundespräsidenten Horst K. Dieser war bekanntlich zurückgetreten worden, weil er freimütig die Wahrheit über die deutschen Interessen in Afghanistan ausgeplaudert hatte. Dr. Westerwelle gab ihm rhetorischen Feuerschutz und behauptete wider besseres Wissen, der beleidigte Leberhorst habe gar nicht über die Interessen am Hindukusch gesprochen, sondern über »die Piraterie am Horn von Afrika sowie den Schutz der See- und Handelswege«.

Von diesem Anfall des Mitgefühls einmal abgesehen, beschäftigen die Liberalen sich seit Monaten ausschließlich mit sich selbst. Der große Durchblickologe Westerwelle hat den Überblick verloren. Das wundert niemanden. Wie jeder Niedriglöhner, der drei Jobs braucht, um seine Familie halbwegs ernähren zu können, hat der Guido eine dreifache Festanstellung als Parteivorsitzender, als Vizekanzler und als Außenminister, der sich vor allem für die Innenpolitik erwärmt. Wir entsinnen uns, dass die FDP ein »einfaches, niedrigeres und gerechtes« Steuersystem wollte, nun hat sie einfach bloß ebenso niedrige wie gerechte Umfragewerte und steht da als die Partei der Nichtsbesseresverdienenden.

Neulich wählte der launische Wähler sie noch mit 15 Prozent, inzwischen ist sie dabei, die ominöse 5-Prozent-Marke im freien Fall von oben nach unten zu durchbrechen. Nach dem monatelangen Gesülze über Steuersenkungen werten die Freien Dekadenten es inzwischen als Erfolg, dass die Steuern noch nicht erhöht worden sind, und »prüfen«, ob sie das Mövenpick-Privileg des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes fürs Hotelgewerbe nicht leise weinend wieder einsammeln sollten.

Birgit Homburger, die schwäbische Hausfrau, ruft sogar nach einer »Reform« der Mehrwertsteuer, zu Deutsch: nach einer allgemeinen Erhöhung der Mehrwertsteuer. Westerwelle räumt erstmals eigene Fehler ein, und immer mehr Parteifreunde erteilen ihrem Vorsitzenden öffentlich Ratschläge. Ein heißer Sommer mit viel heißer Luft! Christian Lindner, der Generalsekretär, sagt kess: »Die FDP wird im Team geführt.« Diese Parole klingt in Westerwelles Ohren wie eine Kampfansage. Auch Lindner, die blonde Frohnatur aus Wuppertal, hat die üblichen Stationen des parasitären Politikers durchlaufen: Kreißsaal – Hörsaal – Plenarsaal; Insider wissen, dass der liberale Fallschirmspringer Jürgen Möllemann ihn einst zum Hoffnungsträger adelte, indem er ihn zärtlich Bambi nannte.

Rösler und Brüderle sind abgemeldet, wenn Bambi im taillierten Zweireiher ans Rednerpult tritt und ohne Manuskript über das Thema »Arbeit muss sich wieder lohnen« referiert. Gut möglich, dass er dabei ans eigene Konto denkt. Und wenn er seine FDP als Hort eines »mitfühlenden Liberalismus« preist, ahnt Westerwelle, dass nicht er, sondern demnächst vielleicht Bambi die Partei zu neuen Ufern führen könnte.

»Kaum hat der Esel ein paar Streifen«, kommentiert mein Nachbar Paule, »schon nennt er sich Zebra!« Für Paule ist Berlin die Hauptstadt Absurdistans. Er wundert sich über gar nichts mehr, am allerwenigsten über den durchgeknallten Westerwelle-Wahlverein. Und auch nicht über den Unfall eines mit Imbiss-Soßen beladenen Lastwagens, der ins Schleudern geriet und seine Ladung über die Stadtautobahn ergoss. Das Rot des Ketchups und das Beige des Senfs leuchteten in der Sonne. Von Blau und Gelb keine Spur, trotzdem, sagt Paule, war es das typische FDP-Malheur: ohne Bratwurscht total witzlos.

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