Im Dienste der Stauffenbergpartei

Das Tagebuch des Jeremy-Maria zu Hohenlohen-Puntiz – 1. Folge

  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Albtraum in der Nacht vor der Bundespräsidentenwahl veranlasst Baron Jeremy-Maria zu Hohenlohen-Puntiz, Kopf einer konservativen Verschwörung, sich seinem Tagebuch anzuvertrauen. Doch ND liest mit. Und Sie können es auch tun: ab heute jeweils mittwochs.

In der Nacht ein Alptraum. Ich entdeckte eine Bahntrasse, die durch die Felder des väterlichen Gutes führte. Leonore, über mir flatternd, machte mich auf einen Zug aufmerksam. Ein transasiatischer Transrapid auf der Durchfahrt nach Großbritannien, beladen mit den kostbarsten Bodenschätzen des Hindukusch. Ich wollte ihn aufhalten, auch Deutschland sollte seinen Teil bekommen, schrie aus voller Kehle. Leonore, mein treuer Kakadu, tat es mir gleich und krächzte, vom Wind der vorbeiziehenden Waggons in die Höhe gewirbelt. Vergebens. Nicht einmal das Schwarze unter den Nägeln der Afghanen gönnte uns der Waffenbruder.

Eine salzige Träne perlte auf meine Oberlippe, während der silberne Pfeil im Abendlicht des Westens verschwand. Dann eine Hand an meiner Schulter, ich wandte mich um und da stand er: Claus Schenk Graf von Stauffenberg, sein einziges Auge auf mir ruhend. Ich nahm Haltung an, wollte gerade salutieren, da winkte er ab und sprach mit einer Stimme, die der Hottes grotesk ähnelte: »Truppen raus aus Afghanistan! Das habt ihr nun davon.«

Als ich erwachte, fand ich mich in fremder Dunkelheit wieder. Babylonisches Sprachengewirr, orientalische Düfte drangen durch ein geöffnetes Fenster. Wo war ich? In Samarkand? In Teheran? Als die Umrisse des Zimmers deutlicher wurden, ich den uralten Schaukelstuhl, den Bücherschrank und neben meinem Bett Leonores Käfig entdeckte, begriff ich: Ich war in Berlin-Neukölln. Meiner neuen, konspirativen Heimstatt. Schweißgebadet wurde ich meiner schicksalsträchtigen Rolle gewahr. Ich war ein konservativer Revolutionär, Zünder und Projektil einer Waffe von gewaltiger Schlagkraft, der Stauffenbergpartei.

Die Verantwortung drückte schwer, wie schlafen. Die Zeiger des Weckers standen auf zehn nach drei, gemahnten an den weit geöffneten Rachen eines entfesselten Leviathans. In etwa zwölf Stunden sollte Deutschland einen neuen Bundespräsidenten bekommen; wer wird es werden?

Wie sehr sich das Blatt gewendet hatte seit jenem schicksalhaften Abend, als Hotte mich um Erlaubnis gebeten hatte, von seinem Bundespräsidentenamt zurückzutreten. Nachdem schon Roland Hessen den Rücken kehren durfte, wollte nun auch er, das einstige Flüchtlingskind mit dem scheuen Rehblick, in den Dienst der Stauffenbergpartei treten. Schnell war erkennbar, dass es entweder auf Wulff oder Gauck als Nachfolger hinauslaufen würde. Zwar wurden beide von der Mehrheit des Pöbels akzeptiert, doch wäre einer von ihnen nach der konservativen Revolution vermittelbar? Eine erhellende Krisensitzung später begriff ich, beide waren willfährige Marionetten. Unsere treueste Parteisoldatin Ursel war schnell auf Wulff angesetzt worden. Schon nach einem ersten Stelldichein fraß ihr der liebestolle Trottel aus der Hand. Und Renate, unser grüner Maulwurf, hatte einen interessanten Zusammenhang zwischen Gauck und dem verschwundenen Stasischatz ausgegraben. Sollte der Salonkonservative nicht so wie wir, genügte ein Anruf beim Staatsanwalt.

Alle sind sie außer sich vor Freude, Ursel, Hotte, Renate, Kalle. Jauch hat schon Visitenkarten drucken lassen, Roland sieht das Parteibanner über dem Eingang des Stadtschlosses hängen. Ach, wir sind ein Haufen romantischer deutscher Spinner, und der Regierungssitz unserer Träume ist aus Wolken gebaut. Vorerst. Die Champagnerlaune jedenfalls werde ich dämpfen müssen: »Im Kriege mehr als irgendwo sonst in der Welt kommen die Dinge anders, als man es sich gedacht hat ...« Das wusste schon Clausewitz.

Dies ist die erste Folge eines wochenfrischen Tagebuchromans. Die nächste Folge erwarten wir am 7. Juli 2010.

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