Pharmaneuheiten: teuer und oft riskant
Laut Studie sollte Patientennutzen bei Erstattung neuer Medikamente größere Rolle spielen
Angesichts wachsender Beitragssätze und ungedeckelter Zusatzbeiträge für die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ist der kritische Blick auf den am schnellsten wachsenden Ausgabenposten der Kassen dringend nötig. Dabei lagen für 2004 bis 2008 die Kosten für Medikamente mit einem Zuwachs von 33 Prozent deutlich vor den Steigerungen für Arzthonorare und Krankenhäuser. Eine Studie des Zentrums für Sozialpolitik der Universität Bremen und der Barmer GEK, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurde, warf einen Blick auf die Bewertung und Finanzierung von Arzneimitteln.
Die Pharmaindustrie orientiere sich in den letzten Jahren weniger auf die »Blockbuster« für verbreitete Krankheiten mit Milliardenumsatz, sondern immer mehr auf vielversprechende Nischenprodukte, so ein Ergebnis der Studie. Dazu gehörten etwa zielgerichtete Therapien gegen Krebs oder Biopharmaka mit sehr hohen Kosten und häufig unklarem Nutzen.
So beschrieb Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft, neuere Tendenzen in der Pharmazie. Durch schnellere Zulassungen stünden Medikamente zwar eher zur Verfügung, aber den Zulassungsstudien mangele es an Qualität. Zudem seien Studien zur Anwendung im Alltag und nicht nur bei streng ausgewählten Patienten geradezu eine Rarität. Auf jeden Fall stiegen die Kosten schneller als Wirksamkeit wissenschaftlich nachgewiesen werde, so Ludwig weiter. Um Ärzten eine rationale Pharmakotherapie zu ermöglichen, sei der öffentliche Zugriff auf Studienprotokolle und -ergebnisse, und zwar auf deren Rohdaten, nötig. Außerdem sollten im westeuropäischen Ausland bewährte Systeme zur frühen Bewertung neuer Therapiekonzepte installiert werden.
Peter T. Sawicki, bisheriger Leiter des Institutes für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), nannte den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuordnung des Medikamentenmarktes in Bezug auf die Arzneimittelbewertung einen Rückschritt. Es werde somit wohl keine unabhängigen Vergleiche des IQWiG mehr geben, sondern das Institut werde nur noch von der Industrie vorgelegte Wirksamkeitsvergleiche bewerten. Sawicki warnte, dass pharmazeutische Innovation auch Rückschritt bedeuten könne. So hatte Pfizer bei einem vielversprechenden Cholesterinsenker feststellen müssen, dass Patienten mit so geregelten Werten eher starben als jene mit schlechten Werten. Jedes Jahr gebe es neue Beispiele für gepriesene Innovationen, die im Resultat nicht nur nutzlos, sondern auch oft schädlich seien. Zur Nutzenbewertung forderte Sawicki die Untersuchung dreier Hauptparameter: Lebenserwartung, Beschwerden und Komplikationen sowie gesundheitsbezogene Lebensqualität. Sie sollten in unabhängigen Studien bewertet werden. Zudem müssten unabhängige Stellen die Preise für neue Pharmaka festlegen.
»Wir zahlen zu viel für Medikamente ohne Nutzen«, beklagte auch Gerd Glaeske, Pharmazeut und Versorgungsforscher von der Universität Bremen. Die Häufung von »Innovationen« nutze nur dem Forschungsstandort Deutschland, ohne Nutzennachweis führe sie aber zur »Marktausplünderung« bei der GKV. Fehlende Leitlinien, etwa für die Behandlung betagter, mehrfach erkrankter Patienten, führten zur Dauerverschreibung von neun und mehr Medikamenten. Diese Fehl- und Überbehandlung trage ebenso zu den hohen Gesamtkosten im Gesundheitswesen bei. Glaeske regte an, den Kassen zu einem Satz von zum Beispiel 0,1 Prozent ihrer Leistungsausgaben die Durchführung von Studien zum Medikamentennutzen zu gestatten.
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