Arbeiterbewegung statt Bahnverkehr
Griechenland: Sechster Generalstreik des Jahres legte öffentliches Leben weitgehend lahm
»Parlamentarier: Lasst euch lieber von der Partei ausschließen als vom Volk«, stand auf Plakaten der maoistischen KOE überall in der Hauptstadt. Auch der Vorsitzende der Parlamentsfraktion des Linksbündnisses SYRIZA hatte an seine Kollegen von der PASOK appelliert, ihrem Gewissen und nicht der Parteidisziplin zu folgen und die am Donnerstag im griechischen Parlament diskutierte »Rentenreform« niederzustimmen. Genützt haben die Appelle nichts, ebenso wenig die Tatsache, dass Millionen griechischer Lohnabhängiger mit einem weiteren Generalstreik und Zehntausende Demonstranten draußen vor dem Parlament gegen das »Kernstück des griechischen Sparpakets« protestierten.
Nur die drei bereits bei der vergangenen Verabschiedung von Sparmaßnahmen wegen abweichenden Stimmverhaltens aus der Fraktion ausgeschlossenen PASOK-Parlamentarier verweigerten auch diesmal Ministerpräsident Giorgios Papandreou die Gefolgschaft, der die Annahme der »Rentenreform« zur Vertrauensfrage für seine Regierung gemacht hatte.
Mit den Stimmen der übrigen 157 PASOK-Parlamentarier sowie zweier unabhängiger Abgeordneter gegen 137 Stimmen der Opposition wurde das Gesetz am Donnerstag verabschiedet. Damit wird die Lebensarbeitszeit in Griechenland von 35 auf 40 Jahre angehoben, wobei gleichzeitig ein Renteneintrittsalter von 65 Jahren zur Regel gemacht wird. Auch die in »schweren und gesundheitsschädlichen« Berufen Arbeitenden sollen künftig 40 Jahre malochen, bevor sie frühestens mit 60 in den Ruhestand treten können.
Der Widerstand gegen diese und andere bereits verabschiedete Sparmaßnahmen, mit denen das Haushaltsdefizit von 13,6 Prozent innerhalb weniger Jahre unter die von der EU vorgegebene Obergrenze von 3 Prozent gedrückt werden soll, ist ungebrochen. Die Streikbeteiligung der griechischen Lohnabhängigen lag nach Angaben des Gewerkschaftsdachverbands in der privaten Wirtschaft, GSEE, im Schnitt bei 80 Prozent.
Industriebetriebe, Handelsunternehmen, Banken, Behörden, Schulen und Universitäten blieben geschlossen, die Krankenhäuser arbeiteten mit Notdiensten und in den Radio- und Fernsehsendern gab es keine Nachrichten, während am heutigen Freitag keine Tageszeitung erscheint. In den internationalen Medien fand dagegen besonders der Streik der Fluglotsen, Seeleute und bei der Bahn Angestellten Beachtung. Sie sorgten dafür, dass der nationale und internationale Flugverkehr empfindlich gestört, der Schiffs- und Bahnverkehr sogar gänzlich lahmgelegt wurde. »Wir beharren auf unserem Protest, weil wir recht haben«, so der Vorsitzende der GSEE, Giannis Panagopoulos, auf der Streikkundgebung in Athen. Die Mehrheit der Menschen in Griechenland ist zwar selbst überzeugt, dass gegen die aus dem Ruder gelaufene Staatsverschuldung etwas getan werden muss. Die fast ausschließlich zu Lasten der Lohnabhängigen, Rentner und sozial Schwachen verhängten Sparmaßnahmen werden aber ebenso durchgängig als ungerecht abgelehnt. Statt dessen sollten Unternehmer und reiche Institutionen wie die orthodoxe Kirche zur Kasse gebeten werden, die an der überhaupt erst von ihnen verursachten Krise kräftig verdient hätten, lautete die Botschaft auf den Transparenten der Streikenden.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.