Fehler im System Deutsche Bahn
Nach den dramatischen Vorfällen in überhitzten ICE ermittelt die Staatsanwaltschaft
»Bei allem Ärger und Verständnis für die Betroffenen darf man die Mängel allerdings nicht zu einer nationalen Tragödie hoch stilisieren.« Dies sagte Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), nachdem am Wochenende die Klimaanlage in drei ICE vollständig und in mehreren anderen Zügen teilweise ausgefallen war. In Bielefeld und Hannover mussten die überhitzten Züge evakuiert und 44 Personen wegen Dehydrierung und Schwächeanfällen medizinisch behandelt werden. Unter ihnen waren viele Schülerinnen und Schüler aus Remscheid und Willich, die sich auf dem Rückweg von einer Klassenfahrt nach Berlin befanden.
Ramsauer hat Recht. Denn von »national« kann nicht die Rede sein, ist doch die Deutsche Bahn längst ein transnational agierender Konzern. Und bei einer Tragödie ist das Scheitern der Protagonisten unausweichlich. Auch das darf in diesem Fall bezweifelt werden.
So ermittelt die Bielefelder Staatsanwaltschaft inzwischen gegen Verantwortliche der Bahn wegen fahrlässiger Körperverletzung und unterlassener Hilfeleistung. Der Zug von Berlin nach Köln, in dem die Schülerinnen und Schüler kollabierten, hätte früher gestoppt werden können, sagen Kritiker. Auch seien noch in Hannover Fahrgäste aufgenommen worden, obwohl die Klimaanlage bereits in mehreren Abteilen ausgefallen war.
Das Eisenbahnbundesamt hat ebenfalls Untersuchungen aufgenommen. Überprüft würden die ICE-Züge selbst und die betrieblichen Abläufe, sagte ein Sprecher der Behörde. Man prüfe weiterhin, ob es in der Vergangenheit bereits ähnliche Vorfälle gegeben habe.
Die Leiterin der Sophie-Scholl-Gesamtschule in Remscheid, Brigitte Borgstedt, kündigte an, dass ihre Schule bei der Bahn Schadensersatzansprüche geltend machen werde. »Die Beförderung endete im Desaster, und das nicht nur einmal«, sagte Borgstedt. Ihre Schule rät den Eltern der betroffenen Schülerinnen und Schülern außerdem zu einer Sammelklage, sollten die Ermittlungen der Bundespolizei den Verdacht der fahrlässigen Körperverletzung bestätigen.
Der Fahrgastverband Pro Bahn hält die gehäuften Defekte an Klimaanlagen in ICE nach der Auswertung der Medienberichte für ein hausgemachtes Problem. »Es waren alles Züge des Typs ICE II. Das sind Züge, die jetzt 15 Jahre alt sind«, sagte der Bundesvorsitzende des Verbands, Karl-Peter Naumann. Eine Generalüberholung sei dringend nötig. »Die kommen jetzt auch in Revision, vielleicht hätten sie doch früher rein gemusst.«
Von einem »technischen Systemfehler« sprach der Rechtsexperte von Pro Bahn, Rainer Engel. »In diesem ICE-Typ schaltet die Klimaanlage bei Überlastung einfach ganz ab, statt wenigstens die Luftzirkulation aufrecht zu erhalten. Darum wird es in den Wagen viel wärmer als draußen.« Engel berichtete darüber hinaus, er habe noch nie so viele Ausfälle von Zügen, Ersatzzüge und Züge mit halber Länge auf der Strecke zwischen Spree und Ruhr erlebt wie in letzter Zeit. »Hintergrund dürfte sein, dass die ICE der zweiten Bauserie eine Generalrevision erhalten sollen, und es ist daher zu vermuten, dass am laufenden Unterhalt schon gespart wird.«
Weniger technischer Natur, aber trotzdem ein Fehler im System Bahn scheint zu sein, was Engel weiter schildert: Bei Problemen wie verspäteten oder überlasteten Zügen »verkriecht sich das Personal«. Die Zugbegleiter seien dann unter anderem damit beschäftigt, mit ihrer Leitstelle zu kommunizieren, um Entscheidungen abstimmen zu können. Die Leitstellen wiederum seien »gerade in Krisenzeiten überlastet«. So erklärt sich Engel, dass der ICE nicht früher gestoppt worden sei.
Naumann sagte: »Was die Bahn noch immer nicht gelernt hat, ist, mit Krisen umzugehen. Wenn es kritisch wird, muss man einen Zug auch mal anhalten, und nicht nur, wenn er nicht weiterfahren kann, sondern auch, wenn im Innern Dinge des Komforts nicht mehr stimmen.«
Die Bahn will die Ursachen für den Ausfall der Klimaanlagen untersuchen. Auch bei der Wartung über Nacht würden die Anlagen genauer überprüft, sagte ein Sprecher des Unternehmens. Damit solle sichergestellt werden, dass kein Zug mit gestörter Kühlung auf die Gleise rolle. Zudem seien die Zugbegleiter nochmals sensibilisiert worden, auf Unregelmäßigkeiten zu achten. Auch würden mehr Getränke mit an Bord genommen.
Das klingt beinahe, als wäre das Problem schon gelöst. Man darf gespannt sein, wann von den nächsten »Wartungsstaus« die Rede sein wird, die daher rühren, dass die Kapazitäten in den Werkstätten der Bahn gar nicht mehr ausreichen, um alle Fahrzeuge in den nötigen Intervallen zu überprüfen und zu reparieren. Denn in den ICE-Werkstätten befinden sich bereits Neigetechnikzüge des Typs ICE T, deren Achsen ausgetauscht werden.
Ähnliche Probleme gibt es bei der Berliner S-Bahn, einem Tochterunternehmen der Bahn. Auch hier brachte die Hitze technische Probleme mit sich, die Kritiker zumindest teilweise auf Sparmaßnahmen zurückführen. Und auch die S-Bahn-Werkstätten sind bekanntlich wegen defekter Räder und Bremsen an den Zügen bereits überlastet. Seite 9
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