Die »Schweinehunde« bleiben tabu
Birthler gab MfS-Akten über westdeutsche Geheimdienstler frei – wann öffnet BND-Archiv?
Die zwei nun verfügbaren Bände gehören zu einem Vorgang, der insgesamt 27 Aktenordner füllt. Es handelt sich um Recherche-Ergebnisse des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) aus den Jahren 1971 bis 1980, die intern unter dem Codewort »Dienste« behandelt wurden. Das war, so erinnert sich der letzte Leiter der zuständigen Hauptabteilung IX/11, Dieter Skiba, ein Bruchteil jener Daten, die das MfS über hochrangige NS-belastete Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND), des Verfassungsschutzes, des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) und von Polizeibehörden gesammelt hat. Gleiches geschah unter den Decknamen »Schwarz 1« und »Schwarz 2« im Bereich der Justiz. »Wir hatten«, so berichtet Skiba gegenüber ND, Tausende in den Karteien und sehr viele ausführliche Dossiers erarbeitet.« Dabei habe man mit sowjetischen, polnischen und Stellen in der CSSR zusammengearbeitet. Viele Vorgänge wurden auf »höhere Weisung« nicht öffentlich, auch weil die DDR-Führung die sich andeutende Entspannung nicht gefährden wollte.
Für hunderte Nazi-Geheimdienstexperten hat es 1945 keine Stunde Null gegeben. Sie wurden unter anderem aufgesogen von der Organisation Gehlen – dem heutigen BND. Sogar extrem belastete SS- und Gestapo-Leute kamen unter. In den USA 2005 freigegebene Akten lassen erkennen, dass zehn Prozent der 4000 BND-Mitarbeiter eine kriminelle Vergangenheit hatten. »Wir wussten, was wir taten«, sagte der in die Leitung des BND involvierte CIA-Russland-Chef Harry Rositzke. »Es war unbedingt notwendig, dass wir jeden Schweinehund verwenden. Hauptsache, er war Antikommunist.«
1990 wurde die »MfS-Nazi-Sammlung« an das DDR-Staatsarchiv übergeben und nach Hoppegarten bei Berlin geschafft. Nicht selten mussten Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze für einige Stunden räumen, um das Aktenstudium zugereister »Gäste« nicht zu stören.
Nach der Vereinigung der beiden Deutschlands lag die Verantwortung für die Verfolgung der Nazi- und Kriegsverbrechen bei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg. Deren damaliger Chef, Oberstandsanwalt Alfred Streim, musste konstatieren, dass Unterlagen der IX/11 fehlen. »Entweder sind sie vom MfS nach der Wende vernichtet worden oder sie sind nicht auffindbar. Möglicherweise werden sie anderweitig benötigt ... Sie können auch außer Kontrolle geraten sein.« Als Mitarbeiter der Zentralen Stelle im ehemaligen Stasi-Archiv Nachforschungen anstellten, wurde ihnen nicht ein einziges Dossier über NS-belastete westdeutsche Geheimdienstler gezeigt, bestätigt der heutige Vizechef der Zentralen Stelle, Richter Thomas Will, der sich zuvor auf ND-Nachfrage bei beteiligten Mitarbeitern vergewissert hat.
Das kann nicht verwundern, denn laut Paragraf 37 des Stasi-Unterlagengesetzes ist die Behörde verpflichtet, Unterlagen über Mitarbeiter von Nachrichtendiensten des Bundes, der Länder und der Verbündeten gesondert zu lagern. Über die Freigabe entscheidet das Bundesinnenministerium.
Der BND verspricht seit Jahren die Aufarbeitung seiner Geschichte und ist dabei angeblich im Kontakt mit dem vorgesetzten Kanzleramt. Geschehen ist so gut wie nichts.
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