Langspiel-Platte dreht sich weiter

Das Proberaumzentrum Orwohaus funktioniert anders als eine Firma und feiert ein Festival

Das Orwohaus in der Landsberger Allee, Probe der Band »Me and the White Rabbits« Fotos: Stefan Otto
Das Orwohaus in der Landsberger Allee, Probe der Band »Me and the White Rabbits« Fotos: Stefan Otto

Als »Berlins lauteste Platte« bezeichnet sich das Band- und Proberaumzentrum Orwohaus auf seiner Website. Das sei halt ein Spruch, den man ja nicht wie eine Kaufhauswerbung ausschlachten müsse, meint Geoffrey Vasseur. Wozu auch? – Die Musiker betreiben das Haus als gemeinnützigen Verein; sie sind kein Medienunternehmen, das Gewinn machen will.

In dem Plattenbau an der Landsberger Allee proben 200 Bands auf sieben Etagen. Geoffrey koordiniert die Kulturarbeit im Haus. Er erzählt, wie sie einmal Besuch vom Kultursenator aus Barcelona bekamen, der ganz erpicht darauf war, zu erfahren, wie viele Quadratmeter das Haus hat. »Die wollen in einer alten Fabrik etwas Ähnliches aufziehen.« Er spürte den Wettstreit um die Größe des Projektes. Das liegt ihm fern. Das Haus müsse funktionieren, mehr nicht.

Obwohl der Bezirk Marzahn weit draußen liegt, ist das Gebäude, in dem bis zur Wende die Firma Orwo Fotofilme fertigte, begehrt. Wer die Kellerlöcher kenne, in denen die Bands andernorts üben, der wisse die hellen und trockenen Räume zu schätzen, weiß Geoffrey. 7,25 Euro kostet der Quadratmeter einschließlich aller Nebenkosten.

»Unsere Mieter haben zwar nicht die beste Zahlungsmoral, aber wir sind auch nicht die bösen Vermieter«, sagt er mit einer Gelassenheit fern jeglicher betriebswirtschaftlichen Logik. Leben und leben lassen, heißt die Devise; der Verein ist nicht pleite, und das Haus funktioniert. Peter Delorme kann das bestätigen. Er ist der Hausmeister, der gerade mit zwei Kollegen auf der ersten Etage Wände hochzieht und einen großen Proberaum in drei kleinere unterteilt. »Ist billiger für die Musiker«, meint er.

An diesem Sommermittag geht es im Orwohaus gemächlich zu; die Hitze lähmt die einzige Bandprobe im vierten Stock. Nichts erinnert mehr an die Proteste, als vor sechs Jahren die Treuhand als damalige Eigentümerin Verstöße gegen die Brandschutzbestimmungen feststellte und allen Bands fristlos kündigte. Noch bevor das Haus aufleben konnte, stand es vor dem Aus – wenn die Musiker sich nicht selbst organisiert hätten, und mittels eines Vereins in die Kaufverhandlungen getreten wären. Das Gebäude ging schließlich für 150 000 Euro über den Tisch, und mit Mitteln aus der Lottostiftung wurden die Etagen saniert. Wenn Geoffrey zurückblickt, dann ist er stolz darauf, dass ihr Verein eine Industriebrache für eine kulturelle Nutzung zugänglich gemacht hat.

In seinem Büro liegen Kabel auf dem schlampig verlegten Teppich, und Konzertposter pflastern die Wände. Er ist froh darüber, dass sie – die als »Freaks« verschrienen Musiker – von der Erfahrung der älteren Mitarbeiter profitieren können, und schaut auf die Tür, hinter der Hannelore Krause ihren Arbeitsplatz hat. Dreimal in der Woche kommt die Rentnerin ins Büro und kümmert sich um die Buchhaltung.

Wer sich mit Hannelore Krause unterhält, erfährt viel über die Wünsche der bald 71-Jährigen. Nach Irland möchte sie noch einmal reisen, aber dafür will sie erst ihr Englisch verbessern. Über das Orwohaus sagt sie: »Es dreht sich.« Damit meint sie nicht nur den Geldkreislauf, sondern das Treiben in dem Plattenbau. Wenn sich die Musiker im Café im ersten Stock treffen oder einen Pritschenwagen präparieren, um auf der Mediaspree-Demonstration zu spielen. Hier sei das Leben, findet Hannelore Krause.

Vor drei Jahren benannte der Bezirk die 300 Meter lange Anliegerstraße am Orwohaus in Frank-Zappa-Straße um. Der Musiker Zappa sei experimentell gewesen, meint Geoffrey. »Das passt zu unserem Haus.« Seit die Baumaßnahmen vor anderthalb Jahren abgeschlossen sind, ist in dem Plattenbau Ruhe eingekehrt, und der Verein kann die Kulturarbeit voranbringen: Mittlerweile gibt es im Haus ein Tonstudio und einen Schlagzeugbauer. Zudem arbeitet das Haus mit Clubs zusammen, um unbekannten Bands Auftrittsmöglichkeiten zu vermitteln.

Peter Delorme, der Hausmeister, schaut im Musikhaus nach dem Rechten. Klosprüche sind für ihn kein Kulturerbe; nehmen sie überhand, streicht er kurzerhand die Wände. Eigentlich mag der Mittfünfziger eher deutsche Musik. »Schlager und so was.« Als »Silbermond« noch bei ihnen probten, da lauschte er öfters an der Tür. Wenn nun am 23. und 24. Juli das jährliche Festival in der Zappa-Straße stattfindet, ist Delorme im Urlaub. »Leider«, sagt der Mann fürs Alltägliche.

An beiden Tagen treten 18 Bands auf. »Wir haben sie alle mit Bedacht ausgesucht«, meint Geoffrey. Zwar seien keine Stars dabei, aber in Szenekreisen hätten Künstler wie Monotekktoni oder Rico Loop durchaus einen Namen. Er schweigt einen Moment und lässt noch einmal die lange Vorbereitung an sich vorbeilaufen, bevor er meint: »Es wäre schön, wenn wir mehr Geld zur Verfügung hätten. Dann könnten wir noch mehr auf die Beine stellen.« Aber dafür müssten sie mehr Miete verlangen, und damit wäre die Hürde für die Nachwuchsbands höher. Das wollen sie nicht. Das Orwohaus sträubt sich auch weiterhin dagegen, zu einem Medienunternehmen zu mutieren.

Festival: 23.7. (ab 20 Uhr), 24.7. (ab 16 Uhr), Frank-Zappa-Straße 19-20, Infos: www.orwohaus.de

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