Die Bürger werden mündig

Drei Viertel der Deutschen wollen mehr Mitwirkungsrechte bei politischen Entscheidungen

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Vertrauen in die Politik schwindet, während das Selbstvertrauen der Bundesbürger wächst. Aktuellen Umfragen zufolge wünscht sich die Mehrheit der Deutschen größere Mitwirkungsrechte. Doch bislang sind Volksentscheide nur auf Länderebene möglich.
Derzeit nur auf Landesebene möglich Fofo: dpa
Derzeit nur auf Landesebene möglich Fofo: dpa

Werden die Deutschen mündig? Einer aktuellen Umfrage der ARD zufolge wünschen sich 76 Prozent der Bundesbürger mehr direkte Beteiligung. Lediglich 21 Prozent meinen, dass politische Entscheidungen weiterhin von gewählten Abgeordneten getroffen werden sollten. Volksentscheide machen zudem das wahlmüde Volk wieder munter, wie eine am Freitag veröffentlichte Emnid-Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung belegt. Drei Viertel der Befragten gaben an, sich häufiger zu beteiligen, wenn es mehr Bürgerbegehren und Volksentscheide gäbe. Laut Bertelsmann Stiftung setzt man dabei in Ost und West unterschiedliche Prioritäten. Während die Westdeutschen vor allem mehr Mitspracherecht bei der Wirtschafts- und Bildungspolitik fordern, hätten die Ossis gerne mehr Einfluss auf die Familien- und Umweltpolitik. Allerdings bleiben die Deutschen weiterhin Europa-Muffel: Nur 17 Prozent der Befragten wünschen sich mehr Beteiligung auf europäischer Ebene

Trotzdem: Der Souverän gewinnt an Selbstvertrauen. Die jüngsten Volksentscheide zum Rauchverbot in Bayern und zur Schulpolitik in Hamburg zeigen, dass die von Bürgern initiierten Referenden durchaus Gestaltungsmacht haben. Auch wenn im Fall Hamburg eine konservative Mehrheit der Bürger die ambitionierte Schulreform des schwarz-grünen Senats kippte. »Die Bürgerinnen und Bürger nutzen die Instrumente der direkten Demokratie, egal, welchem politischen Lager sie angehören«, betonte am Freitag Ralf-Uwe Beck vom Verein »Mehr Demokratie«. Die Halbjahresbilanz seiner Organisation beweist, dass die Themen der Volksentscheide breit gestreut sind. Die Palette reicht von Initiativen für den Erhalt des alten Landtagsgebäudes in Niedersachsen bis zu einem Volksbegehren für eine Re-Kommunalisierung des Hamburger Energienetzes.

Insgesamt zählte »Mehr Demokratie« im ersten Halbjahr zwölf direktdemokratische Verfahren in sieben Bundesländern. Wovon drei Verfahren zum Abschluss kamen: Zwei davon durch Volksentscheid in Bayern und Hamburg. In Thüringen hatte der Landtag im April eine Reform des Kindergartengesetzes beschlossen und damit die Forderungen der Volksinitiative erfüllt.

»Besonders wichtig sind den Menschen offenbar soziale und bildungspolitische Themen«, resümierte Beck. So wurde in Berlin ein Antrag auf Volksbegehren eingereicht, der die Hortbetreuung in der Hauptstadt verbessern soll. In Mecklenburg-Vorpommern kämpft eine Volksinitiative für kostenfreie Mittagessen an den Schulen des Landes.

Doch was in vielen Ländern längst möglich ist, bleibt den Bürgern auf Bundesebene versagt. Denn das Grundgesetz sieht keine von Bürgern in die Wege geleiteten Volksentscheide vor. Erst vor wenigen Wochen hatte die Bundestagsfraktion der LINKEN einen entsprechenden Entwurf zur »Volksgesetzgebung« eingebracht. Da für die Einführung von Volksbegehren eine Grundgesetzänderung nötig wäre, müsste ein breiter politischer Konsens her. Schließlich kann die Verfassung nur mit Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden. Doch vor allem bei der CDU gibt es dagegen starke Vorbehalte. Dabei sprechen sich 65 Prozent der CDU/CSU-Wähler für bundesweite Volksentscheide aus, wie eine von »Mehr Demokratie« in Auftrag gegebene Forsa-Umfrage ergab.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -