Zu schnell, um den Erfolg zu genießen
Verena Sailer sprintet in Barcelona zum ersten deutschen EM-Gold über 100 Meter seit 20 Jahren
Auf den schmalen Schultern der Mannheimer Sprinterin Verena Sailer (Foto: dpa) lastete eine ganze Menge, als sie am Donnerstagabend um 21.40 Uhr im Olympiastadion von Barcelona als Halbfinalschnellste an die Startlinie des Endlaufs über 100 Meter trat. Die Einschaltquoten in der Heimat lagen im Keller, das Interesse an der EM war gering, drei Nullen standen für den deutschen Leichtathletik-Verband im Medaillenspiegel verbucht.
11,10 Sekunden nach dem Startschuss war alles von ihr abgefallen: Verena Sailer blickte ungläubig gen Anzeigetafel und jubelte schließlich, als ihr Name der erste war, der auf der Anzeigetafel angezeigt wurde: Mit ihrem beherzten Lauf war die 24-jährige WM-Fünfte von Berlin tatsächlich Europameisterin geworden, genau eine Hundertstel vor der Französin Veronique Mang. Verena Sailer begab sich auf die Ehrenrunde und lachte kopfschüttelnd. Womöglich war ihr noch einmal jene Schrecksekunde im Halbfinale eingefallen, als sie nach dem Start ins Straucheln gekommen war und nur mit Mühe die Balance hatte halten können.
Später in den Gängen unter dem Olympiastadion erklärte sie, wie sehr sie stets an diesen Titel geglaubt habe. »Ich habe den Titel so sehr gewollt, ich hab mir immer wieder die Ehrenrunde vorgestellt«, strahlte sie, »dafür habe ich in den letzten Monaten alles gegeben«. Sie dankte ihrem Coach Valerij Bauer und dessen Frau Ella. Die habe als ihre Physiotherapeutin wahre Wunder vollbracht: »Sie hat mich manchmal um Mitternacht massiert. Sonst hätte ich das harte Training gar nicht durchgestanden.«
Dank dieses Trainings ist sie die erste deutsche Sprinteuropameisterin seit Katrin Krabbe 1990 in Split (10,89 Sekunden), jene Athletin, die später des Dopings überführt wurde.
Dass Verena Sailer in große Fußstapfen tritt, wurde ihr schon in der Nacht klar. Im deutschen EM-Klub im Restaurant »El Xalet« feierte der Verband mit Sportlern und Sponsoren. Verena Sailer und die ebenfalls erfolgreichen Speerwerferinnen wurden von hier nach da gereicht.
Einmal kurz konnte sie innehalten, auf der Terrasse mit Blick über die Stadt, und die Bedeutung ihres Sieges ein wenig ermessen. Sie traf eine der Großen dieses Sports. Auch Marlies Göhr war an diesem Abend zu Gast im EM-Klub, die Jenaerin, die 1977 als erste Frau der Welt unter elf Sekunden gelaufen war. Göhr umarmte die neue Europameisterin innig, schon wurde sie weitergezogen. Der Abend des Erfolgs war nicht der Abend des Genießens.
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