Eine schrecklich schnelle Familie
Statt Jonathan Borlée gewinnt Zwillingsbruder Kevin die 400 Meter
Fast schien es, als könne sich der neue 400-Meter-Europameister gar nicht recht am Sieg erfreuen: Als Kevin Borlée am Freitagabend in 45,09 Sekunden zum Europameistertitel über die Stadionrunde gerannt war, blieb der Jubel des 22-Jährigen erstaunlich kühl. Aus Bruderliebe: Kevin Borlée war einfach zu überrascht, dass er ausgerechnet bei den Kontinentalmeisterschaften seinen Zwillingsbruder übertrumpft hatte. Recht verhalten absolvierte er die Ehrenrunde und versuchte, sich in die ungewohnte Rolle des Siegers einzufinden.
Normalerweise ist der fünf Minuten ältere Jonathan Borlée (die beiden sind kaum zu unterscheiden) der Siegertyp. Noch im Halbfinallauf hatte Jonathan in 44,71 s mit belgischen Landesrekord und europäischer Jahresbestleistung seine Titelansprüche deutlich angemeldet. Doch im Endlauf konnte er den Vorsprung, den er ausgangs der Zielgeraden noch hatte, nicht bis über die Linie bringen. Er brach ein. Kevin preschte vorbei und gewann vor den Briten Michael Bingham und Martin Rooney (beide 45,23 s). Bingham wurde nach der Auswertung des Zielfotos auf Rang zwei gesetzt. Jonathan Borlée hingegen wurde noch auf Platz sieben durchgereicht.
Der neue Europameister Kevin Borlée, dessen persönliche Bestleistung bei 44,88 s liegt, litt auch noch eine halbe Stunde nach dem Sieg ehrlich mit seinem enttäuschten Bruder Jonathan: »Eigentlich hätte er es verdient gehabt, auf dem Podium zu stehen.« Dennoch sei es natürlich fantastisch, der neue Champion zu sein. Und mit Stolz konnten die beiden darauf verweisen, die ersten Zwillinge zu sein, die es je in einen Endlauf bei Titelkämpfen geschafft hatten. Allerdings stimmen bei den Borlées auch die Lauf-Gene: Ihr Vater Jacques Borlée war 1983 Vizeeuropameister in der Halle über 200 m und Olympiastarter 1980 in Moskau. Mutter Edith Demaertlaere war belgische Meisterin über die halbe Stadionrunde. Vater Borlée ist auch der Trainer der beiden, die der Konkurrenz aus Übersee allerdings noch deutlich hinterherrennen.
Nummer fünf in der schnellen Sippe ist Schwester Olivia (24), in Barcelona nur 12. über 200 m, aber mit der belgischen 4x100-m-Staffel WM-Dritte 2007 und Olympiazweite 2008 Eine wirklich schnelle Familie, diese Borlées.
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