Glücksgefühle zum Abschluss
Deutsches Team holt am letzten Tag der Leichtathletik-EM fünf weitere Medaillen und blickt optimistisch in die Zukunft
In den Reißwolf mit der Statistik. Was zählt, sind die neuen Gesichter. Dass Deutschlands Leichtathleten im EM-Titelrennen von Barcelona gegen Russland (10), Frankreich (8) und Großbritannien (6) mit vier goldenen und insgesamt 16 Medaillen nur als Vierte ins Ziel kamen, war völlig egal, als am Sonntagabend der Vorhang fiel. Denn das Wichtigste lässt sich nicht in Zahlen messen: Deutschlands Leichtathletik hat endlich neue Identifikationsfiguren und Siegertypen. »Das ist es, was wir so lange vermisst haben«, sagte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV). »Gemessen am Weltniveau hätten unsere Athleten heute bei Olympia bessere Chancen als Russen, Briten und Franzosen.«
Es gab Erfolge von 100-Meter-Sensationssiegerin Verena Sailer, Speer-Überraschung Linda Stahl, Hammerwerferin Betty Heidler und vom noch nie so weit gesprungenen Christian Reif (8,47 Meter), der am Abschlusstag die deutsche Medaillenbilanz weiter aufbesserte – gemeinsam mit Diskuswerfer Robert Harting (Silber), Hochspringerin Ariane Friedrich (Bronze), der 4 x 100-Meter-Staffel der Männer, die zu Bronze sprintete, und der Frauenstaffel über 4 x 400 Meter, die überraschend Silber gewann und so nochmal für echte Glücksgefühle zum Abschluss der Woche in Barcelona sorgten.
Aber auch der beim Silberwurf sensationell verbesserte Speerwerfer Matthias de Zordo, 1500-Meter-Aufsteiger Carsten Schlangen, die Stabhochspringerinnen Silke Spiegelburg und Lisa Ryzih sowie Hürdensprinterin Carolin Nytra geben der oft antiquiert daherkommenden Sportart neues Profil. Prokop kennt die Mechanismen, die da greifen: Ohne charismatische Athleten keine Öffentlichkeit, kein Fernsehen, keine Sponsoren – und wenig Geld für den Verband, der über ein Budget verfügt, das andere Profisportarten milde lächeln lässt.
Erstmals seit der Wiedervereinigung wurden bei einer internationalen Meisterschaft so viele neue Helden geboren wie diesmal am Olympiaberg Montjuic. Dort, wo 1992 Dieter Baumann (5000 m), Heike Drechsler (Weitsprung), Heike Henkel (Hochsprung) und Silke Renk (Speerwurf) gesiegt hatten, gab es wie damals vier Titel und sechs Medaillen mehr als bei der EM 2006 in Göteborg (4-4-2). Das lässt den DLV zuversichtlich in Richtung Olympia 2012 und der nächsten WM in Südkorea blicken. »Wir wollen auf dieser Erfolgsebene weitermachen«, sagt Prokop.
Unbeirrt vom Fehlstart präsentierte sich das 73-köpfige Team trotz einiger Fehlschläge wie Rang acht durch Diskus-Favoritin Nadine Müller oder das frühe Aus von Hammerwerfer Markus Esser größtenteils topfit. »70 Prozent der Athleten standen im Finale. 15 schafften Bestleistungen oder Saisonbestleistungen. Nur in zwölf Fällen gab es ein Scheitern in Runde eins. Die Nationalmannschaft hat sich hervorragend präsentiert«, sagte Thomas Kurschilgen, Sportdirektor des DLV.
Ein Jahr nach der erfolgreichen Berliner WM (2-3-4) gab es nochmal einen Ruck nach vorn. Die Medaillengewinner von Barcelona werden bei Olympia 2012 zum Großteil zwischen 21 und 28 Jahre alt sein – nur Kugelstoßer Ralf Bartels (jetzt 32) fällt aus dem Rahmen, doch er hat im 20-Jährigen Supertalent David Storl (5. mit 20,57 m) einen schon heute fast gleichwertigen Nachfolger. Freuen darf man sich in Daegu und London neben den Routiniers vor allem auf weitere Leistungssprünge der jungen Athleten wie von Überraschungssieger Christian Reif.
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