»Was die da treiben, weiß ich bis heute nicht«

Hans-Christian Ströbele (Grüne) im Gespräch über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan

  • Lesedauer: 4 Min.
Hans-Christian Ströbele ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag. Die Beteiligung der Bundeswehr am Kampfeinsatz in Afghanistan (»Operation Enduring Freedom«) lehnte er stets ab. Über Anfragen an die Bundesregierung und auf juristischem Wege versucht er seit langem hartnäckig, konkrete Informationen über den Krieg zu erhalten. Mit Ströbele sprach Regina Stötzel.
»Was die da treiben, weiß ich bis heute nicht«

ND: Haben Sie die Informationen von WikiLeaks überrascht?
Ströbele: Im Kern nicht, in Einzelheiten schon. Ich habe vieles geahnt und einiges gewusst von dem, was die US-Truppen dort treiben. Jetzt haben wir es Schwarz auf Weiß.

Wussten Sie von der deutschen Beteiligung bei der Erstellung sogenannter Abschusslisten?
Ja, dazu habe ich seit November eine Reihe von Fragen an die Bundesregierung gerichtet. Erst im Juni wurde mir mitgeteilt, dass seit Juni 2009 acht Personen für die Listen der NATO vorgeschlagen wurden und zwei danach getötet wurden. Das war für mich eine Bestätigung mündlicher Berichte.

Sie sagten schon vor Jahren, der Krieg sei »schmutzig«. Welche Informationen hatten Sie da ?
Wir hatten immer wieder Informationen, beispielsweise dass die USA auf der Grundlage von Denunziationen Hochzeitsgesellschaften bombardierten, und da gab es bis zu 76 Tote. Viele waren Frauen und Kinder und keine Taliban. Hintergrund der Denunziation soll ein Eifersuchtsstreit gewesen sein.

Gab es Informationen über das Kommando Spezialkräfte?
Wir haben sehr schleppend Informationen erhalten. Was die da im Einzelnen getrieben haben, weiß ich bis heute nicht. Etwa im letzten Oktober habe ich von der neuen Einheit der Bundeswehr erfahren, der Task Force 47, und von der US-Einheit TF 373. Auch dazu habe ich parlamentarische Anfragen gestellt. Und ich habe einiges von TF 47-Leuten erfahren, als ich selbst im April 2010 in Afghanistan war. Aber was die genau treiben und ob sie auch töten, habe ich nicht herausbekommen.

Der »Spiegel« schreibt, Deutschland habe sich »kenntnislos und naiv« in den Krieg hinein begeben. Würden Sie das auch Ihren Parteikollegen vorwerfen, die damals den Einsatz befürwortet haben?
Uns im Bundestag ist der ISAF-Einsatz jahrelang als Stabilisierungsmaßnahme verkauft worden. Inzwischen laufen über 90 Prozent aller militärischen Aktionen über ISAF. Ich zweifele an, dass alles, wovon wir jetzt erfahren haben, durch das ISAF-Mandat gedeckt ist. Wenn Deutschland bei den gezielten Tötungen dabei wäre, wäre das sicher verfassungswidrig.

Wenn die Grünen jetzt für den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan plädieren, ist das also weniger ein Zeichen dafür, dass sie wieder der parlamentarische Arm der Friedensbewegung werden?
Die Grünen haben ihre Position stark verändert. Das ist durch den Göttinger Parteitag, der von der Basis erzwungen wurde, eingeleitet worden. Zuletzt hat die Mehrheit der Grünen den ISAF-Einsatz nicht mehr befürwortet. 21 Abgeordnete haben mit Nein gestimmt, die anderen haben sich überwiegend enthalten. Ich hoffe, wir werden nächstes Mal klar mit Nein stimmen. Meine Forderung ist, den Krieg in verantwortungsvoller Weise zu beenden: sofort alle Offensivmaßnahmen einstellen und Verhandlungen beginnen – auch mit Aufständischen, die kämpfen.

Sie haben geschrieben, dass Sie die jetzige Regierung nicht für »kooperationsfähig« halten. Wie sollen dann Verhandlungen mit den Taliban funktionieren?
Ich habe große Zweifel, dass Karzai ernsthafte Verhandlungen führt. Er ist aber auch nur von rund 14 Prozent der Bevölkerung gewählt worden. Er ist nicht der anerkannte Vertreter des afghanischen Volkes. Er ist ein Machtfaktor, aber die entscheidenden Kräfte sind natürlich die USA und die NATO. Alle müssen verhandeln. Die Deutschen müssen im Norden verhandeln, und die USA dürfen mit ihren gezielten Tötungen nicht alles wieder kaputtmachen.

Sie sagen, dass man auch die, die auf diesen Listen stehen, für Verhandlungen braucht.
Ja, in der jetzigen Situation sehen diese Personen aber keine Grundlage dafür. Sie wissen, wenn sie irgendwo den Kopf herausstrecken, kommt eine Drohne und liquidiert sie.

Aber die haben ja wohl üble Sachen gemacht, bevor sie auf den Listen standen.
Trotzdem, wir haben die Todesstrafe von Verfassung wegen abgeschafft. Und wie kommt man auf eine Killing-Liste? Durch ein Gerichtsurteil? Oder hat nur jemand gesagt, ich weiß da einen, der ist auch Taliban-Führer? Das kam immer wieder vor. Nicht alle Aufständischen sind Taliban, da sind viele dabei, die nicht religiös motiviert sind. Man muss beginnen, dezentral zu verhandeln über einen Waffenstillstand. Dafür braucht man die Gegenseite, und zwar die, die Waffen einsetzt. Dann muss man darüber sprechen, wie eine Friedenslösung aussieht. Ich habe sie auch nicht, aber sie kann nur aus Verhandlungen kommen.

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