Bildung per Chipkarte

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Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will bis 2011 sogenannte Bildungs-Chipkarten für alle Hartz-IV-Kinder einführen. Diese Karten sollen den Zugang zu Musikunterricht und Sportvereinen ermöglichen. Die Guthabensumme soll 200 Euro pro Jahr und Kind betragen.

Berlin (Agenturen/ND-Lambeck). Gibt es Bildungsangebote und Sport für Kinder aus Hartz-IV-Familien zukünftig per Chipkarte? »Wir denken im Ministerium intensiv darüber nach, wie man Kindern aus diesen Familien ohne Stigmatisierung die Teilhabe an Bildung und Kultur ermöglicht«, sagte ein Ministeriumssprecher am Donnerstag und bestätigte damit einen Bericht der »Rheinischen Post«. Demnach sollen die betroffenen Kinder zum Jahreswechsel eine Chipkarte erhalten, auf der Guthaben für Musikunterricht und Sportvereine sowie Museums- oder Schwimmbadbesuche gespeichert sind. Bislang habe man sich aber noch nicht auf ein bestimmtes Modell festgelegt, so der Sprecher weiter. Vor allem die bayrische CSU hatte sich gegen Gutscheine statt direkter Zahlungen gesperrt, weil dies die betroffenen Familien diskriminiere. Mit der Chipkarte könnte nun verhindert werden, dass die zusätzlichen Gelder in den Familien sachfremd ausgegeben werden.

Ministerin von der Leyen will am Donnerstag nächster Woche den Bildungs-, Sozial- und Familienministern der Länder sowie Vertretern der Kommunen ihre Pläne vorstellen. Viel Zeit bleibt ihr nicht: Das entsprechende Gesetz muss im Herbst Bundestag und Bundesrat durchlaufen. Die Regierung strebt dabei nach eigenen Angaben ein Verfahren an, das »einfach ist und niemanden stigmatisiert«. Als Vorbild könnte dabei die Familiencard der Stadt Stuttgart dienen. Dort erhalten Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre, deren Eltern weniger als 60 000 Euro brutto im Jahr verdienen, mit der Karte ein Guthaben von 60 Euro. Familien mit mehr als drei Kindern erhalten die Familiencard unabhängig von der Höhe ihres Einkommens. Auf der Chipkarte der Bundesregierung soll hingegen ein Betrag von 200 Euro pro Jahr verfügbar sein. Als Ausgabestellen bieten sich die örtlichen Jobcenter an.

Hintergrund des Vorstoßes ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar dieses Jahres. Das Gericht hatte in seinem Urteil die Berechnungsgrundlage für die Hartz-IV-Regelsätze beanstandet. Bis Ende dieses Jahres muss die Bundesregierung das Verfahren transparent gestalten und die Regelleistungen für rund 6,8 Millionen Hartz-IV-Empfänger entsprechend anpassen. Bei Kindern müssen dem Gericht zufolge Ausgaben für Bildung stärker berücksichtigt werden.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat dafür im Haushalt von Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) für 2011 eine knappe halbe Milliarde Euro vorgesehen. Somit könnte die Bundesregierung hier noch Geld sparen. Wenn – wie vorgesehen – 200 Euro pro Jahr und Kind ausgegeben würden, ergäbe dies bei 1,7 Millionen Kindern in Hartz-IV-Familien Kosten von etwa 340 Millionen Euro. Unklar ist, ob der vorgesehene Pro-Kopf-Betrag überhaupt die Kosten deckt. Die hierfür notwendigen Berechnungen blieb die Regierung bislang schuldig.

Kritik an den Plänen kam am Donnerstag vom Paritätischen Wohlfahrtsverband. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts müsse die Regierung das Existenzminimum von Kindern und Jugendlichen neu definieren und auch sichern, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Die Chipkarte sei zunächst nur eine Verpackung. Entscheidend sei jedoch, was Kinder überhaupt bräuchten. Kommentar Seite 8

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