Die Entschuldigung des Naoto Kan

Japan gedachte der Kapitulation vor 65 Jahren

  • Daniel Kestenholz, Bangkok
  • Lesedauer: 3 Min.
Was Japans schwierige Kriegsvergangenheit anbelangt, haben die nun regierenden Demokraten am Wochenende klar mit den konservativen Vorgängerregierungen gebrochen.

Am 15. August, dem Jahrestag der Kapitulation Tokios im Zweiten Weltkrieg, besuchten japanische Regierungschefs bisher traditionell den Yasukuni-Schrein, wo neben der Opfer des Krieges auch zum Tode verurteilten Kriegsverbrechern gedacht wird, darunter Hideki Tojo, Regierungschef während der Kriegsjahre, der 1948 hingerichtet wurde. Diese rituellen Besuche lösten unter den Nachbarn immer wieder Empörung aus, hatten doch gerade China und Korea durch die Aggressionen Japans unermessliches Leid erlitten. In diesem Jahr mied nicht nur Premierminister Naoto Kan den umstrittenen Schrein, erstmals erwies ihm auch kein einziges Kabinettsmitglied die Ehre. Prompt war aus Asien auch erstmals keine Bitterkeit gegenüber Japan zu spüren.

In den vergangenen Jahren konnte man aus Peking und Seoul stets hören, Tokio müsse mit seiner Vergangenheit endlich ins Reine kommen, um gemeinsam eine Ära von Frieden und Fortschritt anzugehen. Diesen symbolischen Schritt vollzog jetzt Premier Kan. Er nahm an einer Gedenkveranstaltung in Tokios spektakulärem Shinto-Schrein Budokan mit 6000 Gästen teil und entschuldigte sich für die »großen Leiden und Zerstörungen«, die Japan »vielen Nationen, insbesondere den Menschen Asiens« zugefügt habe.

Unter den Anwesenden war auch Kaiser Akihito, dessen Vater Hirohito an jenem Schicksalstag vor 65 Jahren die Kapitulation im Radio verlas und anschließend, unter Druck der USA, abzudanken hatte. Es war das erste Mal gewesen, dass Japans Bevölkerung seine Stimme vernahm. Bis dahin wurde Hirohito als lebender Gott verehrt, was auch die kaiserlichen Eroberungsfeldzüge rechtfertigen sollte. Sein Sohn Akihito und Kaiserin Michiko würdigten die Kriegstoten am Sonntag mit einer tiefen Verbeugung vor einem Meer von gelben und weißen Chrysanthemen. Oppositionsführer Sadakazu Tanigaki, dessen Liberaldemokraten Japan seit 1955 bis zum Vorjahr praktisch ununterbrochen regierten, der frühere LDP-Premier Shinzo Abe sowie eine Reihe weiterer Abgeordneter ließen es sich dagegen nicht nehmen, auch in diesem Jahr dem Yasukuni-Schrein einen Besuch abzustatten.

Mit dem klaren Bruch dieser LDP-Tradition versucht Premier Kan die pazifistische Agenda seiner Demokraten zu demonstrieren. So bemühen sie sich – wenn bisher auch erfolglos – um eine Reduzierung der US-amerikanischen Truppen in Japan. Die Debatte um eine »Modernisierung« der pazifistischen Nachkriegsverfassung des Landes ist ruhiger geworden, sehr zum Ärger der Nationalisten, habe die zweitmächtigste Volkswirtschaft der Welt damit doch noch immer keine volle Souveränität.

Bereits in der Vorwoche hatte sich Kan für die Besatzung der koreanischen Halbinsel vor 100 Jahren entschuldigt. Sein »tiefes Bedauern« galt auch der Versklavung von Koreanern und deren Frontdienst für die kaiserliche Armee. Südkoreas Präsident Lee Myung Bak reagierte kühl, er habe »Japans Bemühung, die einen Schritt nach vorn bedeutet, zur Kenntnis genommen«. Treffen auf höchster Ebene sind auch 65 Jahre nach Kriegsende noch selten, ganz im Gegensatz zu den alten Kriegsgegnern Deutschland und Frankreich etwa. Wirtschaftlich allerdings blüht die Zusammenarbeit zwischen Japan, China und Südkorea inzwischen.

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