Boliviens Präsident mit schwerem Stand
Anhänger des Staatschefs fühlen sich allein gelassen
Boliviens Staatschef Evo Morales wird von kolonialer Vergangenheit eingeholt und muss sich wirtschaftlichen Zwängen stellen. Ein Brennpunkt dabei ist die Provinz Potosí, eine Hochburg seiner »Bewegung zum Sozialismus«.
Auf der Abschlussveranstaltung des amerikanischen Sozialforums in Paraguays Hauptstadt Asunción beschwor Evo Morales am Sonntag erneut die »Einheit der Völker«. In einer umjubelten Rede sagte der bolivianische Präsident: »Nur die sozialen Kräfte machen Geschichte, ändern die Politik und die Programme«.
Zu Hause jedoch tut sich Morales, der Ende letzten Jahres mit 64 Prozent wiedergewählt worden war, immer schwerer mit seiner Basis. Seit fast drei Wochen wird die Provinz Potosí, einer Hochburg von Morales' »Bewegung zum Sozialismus«, von aufgebrachten Bürgeraktivisten blockiert. Sie fühlen sich von der Zentralregierung in La Paz im Stich gelassen und wollten am liebsten direkt mit dem Präsidenten verhandeln. Seit Samstag führen sie in der Hauptstadt Sucre Gespräche mit drei Ministern. Die meisten Touristen, die tagelang fest saßen, hätten Potosí bereits verlassen können, sagte Polizeichef Mario Hinojosa.
Die von einem japanischen Konzern betriebene Mine San Cristóbal ist lahmgelegt – Protestierer haben die Stromzufuhr gekappt. In der Stadt werden Benzin und Lebensmittel knapp, die Stimmung droht zu kippen. An der Straße nach Oruro kam es am Sonntag zu Handgreiflichkeiten zwischen Blockierern und Lastwagenfahrern, bei denen zehn Menschen verletzt
wurden. Beim Versuch, eine Dynamitstange zu zünden, verlor ein Bergmann eine Hand.
Entzündet hatten sich die Spannungen, die letztlich zum Generalstreik führten, an dem Grenzstreit zweier Gemeinden um Kalkvorkommen, die zur Zementproduktion verwendet werden, aber auch um die Erlöse anderer Rohstoffe: »Wir haben Zink, Kupfer und Uran, das wollen die Iraner haben«, sagte ein Blockierer. Mittlerweile wird über ein ganzes Forderungspaket verhandelt, über die Inbetriebnahme einer Fabrik zur Silberverarbeitung, den Bau von Landstraßen, einer Zementfabrik und eines Flughafens.
Mit seinem »reichen Berg«, dem Cerro Rico, ist Potosí das Symbol schlechthin für die Ausbeutung Boliviens. Allein in der Kolonialzeit wurden von dort mindestens 22 000 Tonnen Silber nach Spanien geschafft, Millionen Indigene und Schwarze schufteten sich dabei zu Tode. Heute schaffen über 10 000 Bergleute mit einfachsten Mitteln Tag für Tag tonnenweise Erdreich aus dem Berg, aus dem sie in ihren altertümlichen Anlagen geringe Mengen von Edelmetallen herauswaschen. Auch hier soll die Regierung helfen.
Die Provinz Potosí weist die niedrigsten Sozialindikatoren Boliviens auf: 60 Prozent seiner Einwohner leben in bitterster Armut, jedes zehnte Kind stirbt in den ersten Lebensjahren. Die Analphabetenrate liegt bei 30 Prozent. Dass die letzte große Verheißung, die Förderung der enormen Lithiumvorräte in der Uyuni-Salzwüste, daran etwas ändert, glauben vor Ort nur wenige. Lithium ist als Rohstoff für Handys, Computer und Elektroautos begehrt, Evo Morales fährt Ende August zu Verhandlungen mit dem Staatsbetrieb KORES nach Südkorea. »Wenn die Multis das herausholen, bleibt für uns wieder nichts«, sagen die Menschen an den Straßenblockaden.
Carlos Mesa, der von 2003 bis 2005 selbst eine stürmische Periode als Präsident durchlebte, sieht unter Morales keine Fortschritte. Das kollektive Verhalten der Bolivianer sei weiterhin von »gewaltsamem« Druck wie Blockaden, Hungerstreiks, Besetzungen von Behörden oder Firmen geprägt, klagte Mesa in einer Zeitungskolumne, »diese Gesellschaft hat jegliche Vorstellung von ethischen Werten und Ordnung verloren«. Der Staatschef wird aber auch von links kritisiert. Seine Verspechen von der »Industrialisierung« Boliviens seien bislang nur »reformistische Demagogie«, heißt es in einem Artikel der Nichtregierungsorganisation »Zentrum für Volksstudien«. Anstatt neue Betriebe zur Verarbeitung der Rohstoffe mit den dazugehörigen Arbeitsplätzen zu errichten, vergebe die Regierung weiterhin lukrative Konzessionen an ausländische Unternehmen.
Wenig überzeugend klingt da die These aus Regierungskreisen, der Konflikt in Potosí sei das Ergebnis einer imperialistischen Verschwörung. Im ersten Halbjahr 2010 exportierte Bolivien mineralische Rohstoffe im Wert von 923 Millionen Dollar, so die nationale Statistikbehörde – ein neuer Rekord. Allein, in Potosí spürt man wenig davon.
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