Wachsender Widerstand
Stuttgart 21: Immer mehr Demonstranten / Baustelle kurzzeitig besetzt
»Tag der offenen Tür« haben es die Organisatoren genannt: Die befristete Besetzung des abgesperrten Baustellenteils am Stuttgarter Hauptbahnhof. Nach der Demonstration am Montag brachen Aktivisten einen Teil des Bauzauns auf und bevölkerten die Baustelle. Eine weitere Stufe der Eskalation im Streit um das Milliardenprojekt Stuttgart 21 (S21).
Die 39. Montagsdemo hätte für die S21-Gegner kaum besser laufen können: Laut Polizei waren es 5000 Teilnehmer, die Veranstalter sprechen von 14 200. Zuvor hatte am Montagmorgen bereits der Zoll die Baustelle am Hauptbahnhof gestürmt und die Arbeiter der Abrissfirma sowie die der Sicherheitsfirma kontrolliert. Mit Erfolg: Bei neun von elf angetroffenen Beschäftigten besteht der Verdacht auf Schwarzarbeit, illegale Beschäftigung, Bezahlung unter Mindestlohn. Die Deutsche Bahn will die Vorwürfe prüfen.
»So sehen also die Arbeitsplätze aus, die Stuttgart 21 angeblich schafft«, rief einer der Redner auf der Montagsdemonstration ins Mikrofon. Schwarzarbeit im Ländle – das kommt beim braven Schwaben nicht gut an. Die Menge skandierte mehrfach ihren Schlachtruf: »O-ben blei-ben!« Sie will erreichen, dass der denkmalgeschützte Kopfbahnhof ausgebaut wird und nicht unter die Erde geht.
Momentan sieht es gut aus für die Projektgegner: Jüngst waren Vorwürfe aufgetaucht, die Stadt Stuttgart habe der Deutschen Bahn vor Jahren Geld zugeschustert, damit diese das Projekt Stuttgart 21 überhaupt mitmacht. Nun kommt noch die äußerst ungünstig verlaufene Zollfahndung dazu. Zudem nimmt die überregionale Berichterstattung zu – die S21-Gegner fühlen sich im Aufwind.
Um 19 Uhr am Montag war dann wieder einmal »Schwabenstreich« angesagt: Eine Minute lang ertönte ohrenbetäubender Lärm aus Vuvuzelas, Trillerpfeifen und Tröten; es wurde auf Töpfe getrommelt oder einfach geschrien. Diese 60 Sekunden nutzte eine Handvoll Aktivisten, um den Bauzaun aufzubrechen. Sofort strömten etwa 30 vorwiegend junge Leute auf das gesperrte Gebiet und setzen sich an der Bahnhofsmauer auf die Erde. Über das Megafon ertönte die Aufforderung: »Reinkommen! Reinkommen!« Nachdem die ersten Demonstranten den gesperrten Platz noch zögerlich betreten hatten, strömten andere nach. Nach wenigen Minuten befanden sich schätzungsweise 500 Demonstranten auf der Baustelle. Die Polizeibeamten konnten zunächst nicht viel mehr tun als ratlos zu schauen und über Funk Verstärkung anzufordern. Derweil sangen die Blockierer, einige trommelten auf den Resten des vor wenigen Tagen abgerissenen Blechvordachs.
Auf zwei Stunden sei die Sitzblockade angelegt gewesen, erklärte Matthias von Herrmann, Sprecher der Aktion »Parkschützer«: »Das ist eine symbolische Aktion. Wir wollen zeigen, dass ein drei Meter hoher Bauzaun uns nicht aufhalten kann.« Es blieb friedlich. Die Polizei sperrte zwar den Zugang, hielt sich aber ansonsten zurück. Den Befürwortern des Milliardenprojektes Stuttgart 21 dürfte klar gewesen sein, dass Bilder, auf denen Polizisten junge oder alte Demonstranten wegtragen, zurzeit eher den Gegnern nutzen.
Angesichts des jeden Tag erwarteten Abrisses des Bahnhofsnordflügels verstärken die S21-Gegner nun ihre Aktivitäten. Neben Infoabenden und Mahnwachen rufen sie für Freitag zu einem Schweigemarsch durch die Innenstadt auf. Sie sind überzeugt, das Milliardenprojekt stoppen zu können.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.