Im Dienste der Stauffenbergpartei

Das Tagebuch des Jeremy-Maria zu Hohenlohen-Puntiz – 8. Folge

  • Lesedauer: 3 Min.

Einmal war der alte Bismarck in großer Runde von Nichte Sybille nach seinem Lieblingsmonat befragt worden. August soll die Antwort des Urkanzlers gewesen sein. Die Nichte, die in ihrem Onkel einen arbeitswütigen Staatsmann sah, wunderte sich, dass ihm ausgerechnet der Mond der Sommerfrischler der Liebste war. Der schlagfertige Pommer hatte sogleich eine Erklärung parat: »Na Marjellchen, wann schlägst du dem Löwen den Kopp ab? Wenn er volljefressen in der Sonne liegt.«

Nun, da der August seinen Zenit überschritten hat, muss ich immerfort an diese Anekdote denken. Haben wir die Mittagsschläfrigkeit genutzt, um zum Schlag auszuholen? Die Gelder für das Stadtschloss, den zukünftigen Sitz der Regierung – eingefroren. Der Umbau des Heeres in eine hörige Elitetruppe – weichgespült. Unser Projekt, Sozialhilfe nur in Form von Naturalien und Sachgutscheinen bereitzustellen – durch die Entscheidungsgewalt roter Richter gefährdet.

Auch Renate wird Schwierigkeiten haben, die Kontrolle über die Hauptstadt zu erlangen, wenn es Jauch nicht endlich gelingt, Wowereit, dem sanguinischen Emporkömmling mit dem verdächtig baltisch klingenden Nachnamen, die Münchhauseniaden vor die Plattfüße zu werfen. Einen wie Steffen Seibert bräuchten wir, doch Jauch duldet keinen Journalisten neben sich. Kommunikation, Führung, das ist, woran es der Stauffenbergpartei fehlt.

Der Schrecken, der mir in der Vorwoche ob Rolands und Ursels Verschwinden in die Glieder gefahren ist – symptomatisch für meine Kopflosigkeit. Es kommt noch schlimmer. Kalle liegt mir damit in den Ohren, dass Roland und Ursel ... Absurd, aber als Vorsitzender muss ich alle Vorwürfe ernst nehmen. Nicht, dass ich Einwände hätte, Roland würde ich einen zweiten Frühling von Herzen gönnen, in seiner Jugend hatte er seines Äußeren wegen viel Ablehnung erfahren, aber Ursel scheint mir mit Familie und Wulff, mit Ministerposten und Widerstand mehr als ausgelastet. Ich werde die beiden zur Rede stellen müssen.

In Momenten wie diesen beneide ich die Stalinisten um ihre Disziplin. Heute hatte ich endlich ein Stelldichein mit »Frau Elster«, von nun an unser Vögelchen bei den Dunkelroten. »Frau Elster«, hinter deren Decknamen sich keine Henne, sondern vielmehr ein Hahn verbirgt, ließ ich eine geschlagene Stunde im Regen vor dem Borchardt warten. Von einem Taxi aus haben Leonore und ich die Zuverlässigkeit des kalten Kriegers a.D. getestet und staunten nicht schlecht. Sommerregen durchtränkte Schlapphut und Trenchcoat, doch seine Miene blieb unverändert, gleich dem Gesicht einer in Beton gemeißelten Darstellung eines Proletariers. »Frau Elster«, später darauf angesprochen, wie denn der Stahl so gehärtet wurde, verriet mir das Geheimnis: Dienst im Wachregiment »Feliks Dzierzynski«.

Beim Essen wollte ich aus dem Staunen nicht herauskommen, passte mein Visavis doch so gar nicht in das Bild, das ich von den Chaoten hatte. Jeden Hohenzollern weiß er mit Namen zu nennen, den Faust rezitiert er fehlerfrei. Und so, wie er den Mammon anbetet, könnte man meinen, man habe es mit einem Großkapitalisten zu tun. Nur von Weinen versteht er nichts, da bevorzugt er liebliche Tropfen vom Balkan. Doch wer sich der essigsauren Ideologie des Marxismus verschrieben hat, dem sei ein wenig Süße gegönnt. Ob sich der Kontakt lohnt, wird sich noch herausstellen; nächste Woche werde ich »Frau Elster« der Truppe vorstellen. Leonore jedenfalls war »Frau Elster« sympathisch; auf seine Schulter geklettert, beschnäbelte sie liebevoll sein Ohrläppchen.

Der Tagebuchroman des konservativen Verschwörers Baron zu Hohenlohen-Puntiz erscheint jeweils in der Mittwochausgabe des ND. Die nächste Folge erwarten wir am 25. August 2010.

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