»Aber Abbott ist noch schlimmer«
Australier entscheiden bei der Parlamentswahl, ob Premierministerin Gillard im Amt bleibt
Australier haben eine ausgeprägte Vorliebe für eine deftige Ausdrucksweise. So beschimpfte ein konservativer Politiker einmal im Parlament die unverheiratete, kinderlose Labor-Politikerin Julia Gillard als »vorsätzlich unfruchtbar«. Seit Ende Juni ist die 48 Jahre alte, in »wilder Ehe« lebende Gillard Australiens erste Premierministerin, nachdem die Fraktion der Labor-Partei in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ihren glücklosen Premier Kevin Rudd gestürzt hatte.
Auch den Spitzenkandidaten der Opposition, Tony Abbott, bedenken die Australier mit deftigen Namen. Einer davon ist »der verrückte Mönch«. Der bekennende Katholik und ehemalige Priesterseminarist ist ein politischer Wadenbeißer, der es liebt, verbal auf Gegner einzudreschen und es dabei sowohl mit der Wahrheit als auch mit der politischen Programmatik seiner Partei nicht immer allzu genau zu nehmen, wenn es der saftigen Rhetorik dient.
Wofür aber stehen die beiden Kandidaten und ihre Parteien? Das weiß niemand so genau. Vermutlich nicht einmal Gillard und Abbott selbst. Der dreiwöchige Wahlkampf war auf gespenstische Weise inhaltsleer. Die Politiker reagierten nur noch wie Pawlowsche Hunde auf Umfragen. Statt sich mit Inhalten zu beschäftigen, debattieren Australiens Medien ausgiebig die Frage, ob eine Atheistin, eine rothaarige dazu, das »christliche« Australien regieren darf.
Was fehlt, sind Visionen, Ideen, klare Kursbestimmungen für Australiens Zukunft. An Problemen mangelt es nicht. Wie sehr Populismus den Wahlkampf regiert, zeigt die Debatte um die Asylpolitik. Asylbewerber, vor allem wenn sie per Boot kommen, werden als Bedrohung, als Feinde, als potenzielle Terroristen gesehen, die man möglichst weit von Australien fernhalten muss. Gillard will Bootsflüchtlinge aus Sri Lanka, Afghanistan, Irak in ein Lager in Ost-Timor sperren. Abbott versprach, Bootsflüchtlinge im südpazifischen Inselstaat Nauru zu internieren.
Fehlanzeige auch bei der Wirtschaftspolitik. Seit neunzehn Jahren erweist sich Australiens Wirtschaft als weitgehend resistent gegen Krisen aller Art. Grund ist Chinas Energiehunger, der Australiens Bergbaubranche boomen lässt. Kohle, Erze, Uran – die Australier haben, was die Chinesen brauchen. Der Bergbauboom hat eine Zweiklassenwirtschaft geschaffen: eine, die Milliarden scheffelt und eine, die mehr importiert als exportiert und um deren Produktivität es immer schlechter bestellt ist. Wie diese beiden Ökonomien ausbalanciert werden können, darauf geben weder Gillard noch Abbott eine Antwort.
Oder Klimapolitik. Kevin Rudd hatte die letzte Wahl vor drei Jahren mit kühnen Vorschlägen zur Bekämpfung des Klimawandels gewonnen. Umgesetzt wurde davon fast nichts, was ein Grund für seinen Sturz war. Nachfolgerin Gillard bietet nur noch klimapolitisches Klein-Klein, was tragischerweise immer noch mehr ist, als Abbott bietet, der zu den Klimawandelskeptikern zählt.
Trotz langweiligen Wahlkampfes könnte es am heutigen Sonnabend doch noch spannend werden. Normalerweise haben durch das Mehrheitswahlrecht kleine Parteien keine Chance, ins Parlament zu kommen. Aber in einem Wahlkreis in Melbourne haben Australiens Grüne erstmals beste Aussichten auf den Gewinn eines Mandats im Unterhaus. Sollten sich Umfragen bewahrheiten, die ein Patt zwischen den beiden großen Parteien vorhersagen, dann könnte der Melbourner Grünen-Politiker Adam Bandt Königsmacher werden. Bandt wird sich auf die Seite von Gillard schlagen, aber nur aus Verzweiflung. Er sei »enttäuscht« von Gillard und Labor, so Bandt am Tag vor der Wahl. »Aber Abbott ist noch schlimmer.«
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