Fiskalischer Turmbau zu Tokio

Japan ist von allen Industrieländern am stärksten verschuldet / Inlandsfinanzierung gerät in Gefahr

  • Tomasz Konicz
  • Lesedauer: 3 Min.
Die japanische Wirtschaft befindet sich seit vielen Jahren in einer Deflationsspirale, aus der nicht einmal mehr Konjunkturprogramme heraushelfen. Jetzt drohen dem Land die Schulden über den Kopf zu wachsen.

Japans Regierung trägt sich mit dem Gedanken, ein weiteres Konjunkturpaket aufzulegen. »Wir werden die Entwicklung der Wirtschaft genau beobachten, um zu entscheiden, ob wir darauf reagieren müssen«, erklärte Ministerpräsident Naoto Kan am 5. August. Dank etlicher Konjunkturspritzen und zwischenzeitlich steigender Auslandsnachfrage konnte die exportabhängige japanische Ökonomie im ersten Quartal 2010 immerhin ein Wirtschaftswachstum von fünf Prozent verbuchen. Im April 2009 hatte Tokio umgerechnet 110 Milliarden Euro in ein Konjunkturprogramm investiert. Das vorläufig letzte Stimulierungspaket im Dezember 2009 erreichte einen Umfang von 54 Milliarden Euro.

Diese ökonomischen Wiederbelebungsversuche scheinen nur kurzfristig zu wirken – die meisten Prognosen für das zweite Quartal deuten auf eine deutliche konjunkturelle Abkühlung hin. Somit dürfte es sich auch bei den aktuellen Sparbeteuerungen japanischer Politiker um Lippenbekenntnisse handeln. Finanzminister Yoshihiko Noda kündigte Anfang August an, auf einen Kurs »fiskalischer Konsolidierung« einzuschwenken, um binnen einer Dekade einen ausgeglichenen Staatshaushalt in Japan realisieren zu können.

Verschuldungsquote liegt bei 200 Prozent

Die Erfahrungen der vergangenen Dekaden lassen dieses Vorhaben illusorisch erscheinen, häufte doch der japanische Staat den höchsten Schuldenberg aller Industrieländer an. Inzwischen erreicht die Staatsverschuldung der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt nahezu 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).

Dieser gewaltige Schuldenberg, der etwa das griechische Schuldenniveau weit in den Schatten stellt, wurde seit dem Platzen der japanischen Immobilienblase Anfang der 1990er Jahre aufgetürmt. Mit immer neuen Konjunkturprogrammen bemühte sich der Staat seither vergeblich, die unter einer Deflationsspirale leidende Ökonomie zu reanimieren. Die Stagnation des BIP wurde nur durch kurze Aufschwungsphasen unterbrochen, in denen diese exportabhängige Volkswirtschaft von einer guten Konjunktur in anderen Weltregionen wie in den USA oder China profitieren konnte.

Der japanische Staat ist im Unterschied zu Griechenland größtenteils im Inland verschuldet. Nippons Banken halten an die 40 Prozent aller staatlichen Schuldentitel, gefolgt von der japanischen Versicherungsbranche (20 Prozent) und Pensionsfonds (15 Prozent), während Privathaushalte 5,2 Prozent der Obligationen halten. Staatliche Institutionen sind längst dazu übergegangen, die eigenen Schulden aufzukaufen: Die Zentralbank hält nahezu neun Prozent der Staatsanleihen, und die staatlichen Rentenfonds haben inzwischen 11,7 Prozent der Schuldentitel aufgekauft. Die Privatisierung der Post wurde unlängst abgebrochen, weil diese im großen Maßstab Staatspapiere aufkauft.

Auf niedrigen Zinsen aufgebaut

Dieser fiskalische Turmbau zu Tokio kann fortgesetzt werden, wenn das Zinsniveau äußerst niedrig bleibt – der Schuldendienst verschlingt bereits nahezu die Hälfte der Steuereinnahmen. Die Renditen zehnjähriger japanischer Staatsanleihen sanken jüngst unter einen Prozentpunkt. Japans nichtstaatliche Finanzakteure geben sich aufgrund der anhaltenden Deflation mit solch niedrigen Renditen zufrieden, deren Dynamik überdies durch den steigenden Yen, der Importe verbilligt, an Intensität gewinnen könnte. Bei der letzten Bond-Auktion am 2. August überstieg die Nachfrage das Angebot um mehr als das Vierfache. Für ausländische Investoren dagegen sind diese Papiere nicht attraktiv genug.

Dennoch könnte diese Verschuldungsdynamik bald an ihre Grenzen stoßen. Die inzwischen gegen null tendierende Sparquote der Privathaushalte, die nach Dekaden der Deflation ihre Rücklagen nahezu aufgezehrt haben, könnte der japanische Markt für Staatsobligationen vielleicht noch verkraften. Viel gravierender ist, dass Japans Pensionsfonds sich von Nettokäufern zu Nettoverkäufern von Anleihen zu wandeln drohen: 23 Prozent der Japaner sind über 65 Jahre alt – Tendenz steigend. Ab 2012 werden acht Millionen Japaner in Rente gehen und die Pensionsfonds müssen deren Alterssicherung auszahlen. Wenn deren Nachfrage nach Staatsanleihen einbricht, könnte Tokio in ernsthafte Probleme bei der Refinanzierung der Staatsschulden geraten.

Damit steht und fällt aber das japanische Finanzsystem insgesamt. Bei vielen Banken bilden Staatsanleihen einen großen Teil der Anlagen. So besteht beim Branchenprimus Mitsubishi UFJ Financial Group ein Fünftel der Einlagen – aus Staatsobligationen.

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