Protest gegen Sarkozys Rentenreform
Streik- und Aktionstag am heutigen Dienstag soll Kampfbereitschaft zeigen
Während in der Nationalversammlung die Debatte über den Gesetzentwurf zur Rentenreform beginnt, protestieren Hunderttausende in Paris, Lyon, Marseille und weiteren Städten des Landes. Die Gewerkschaften haben sich zum Ziel gesetzt, doppelt so viele Menschen für die Demonstrationen zu mobilisieren wie beim letzten Streik- und Aktionstag im Juli, als eine Million Franzosen auf die Straße gegangen sind. Der Kern der Auseinandersetzungen zwischen Rechtsregierung und Gewerkschaften ist die geplante Anhebung des Rentenalters von 60 auf 62 Jahre, was von den Gewerkschaften und den linken Oppositionsparteien kategorisch abgelehnt wird, für die Rechtsregierung aber »nicht verhandelbar« ist.
Dagegen deuten seit Tagen Regierungsvertreter in den Medien Konzessionsbereitschaft in anderen Punkten an, etwa mit Blick auf jene, die besonders früh ins Arbeitsleben eingetreten sind, und jene, die besonders schwere und gesundheitsschädliche Arbeiten ausgeführt haben und daher nicht bis zum 62.Lebensjahr arbeiten können und wollen. Mit solchen Ankündigungen soll wohl nicht zuletzt die Kampfbereitschaft untergraben werden. Die Gewerkschaften betonen, dass es – anders als von Sarkozy Anfang des Jahres zugesagt – keine echten Verhandlungen mit der Regierung gegeben habe und seit Juni selbst »Konsultationen« nicht mehr stattfanden.
Die Gewerkschaften räumen ein, dass es aufgrund der fortschreitenden Lebenserwartung der Franzosen und des ständig steigenden Defizits der Rentenkassen eine Reform des gesamten Systems geben müsse – doch als Resultat von Verhandlungen und nicht von der Rechtsregierung von oben aufgezwungen, indem sie ihre Übermacht im Parlament nutzt, um ein entsprechendes Gesetz gegen die Opposition, die Gewerkschaften und eine Mehrheit der öffentlichen Meinung durchzubringen. Von zentraler Bedeutung ist für die Gewerkschaften, dass die Rentenreform nicht allein zu Lasten der arbeitenden Franzosen geht, sondern auch neue Finanzierungsquellen für die Renten gesucht werden, etwa durch die Besteuerung von Finanzgeschäften und Spekulationsgewinnen oder den Abbau von Steuergeschenken.
Als Handicap für Präsident Nicolas Sarkozy und seine Regierung hat sich erwiesen, dass die Rentenreform untrennbar mit dem Namen und Schicksal des Arbeits- und Sozialministers Eric Woerth verbunden ist. Er hat die Reform vorbereitet und wird sie jetzt im Parlament begründen. Doch seine Position wurde in den letzten Monaten durch die Verstrickung in die Parteispendenaffäre um die L’Oréal-Konzern-Erbin Liliane Bettencourt zunehmend geschwächt.
Durch Enthüllungen der Medien wurde nachgewiesen, dass Woerth als Schatzmeister der rechten Parteienvereinigung UMP und als Budgetminister im Präsidentschaftswahlkampf 2007 illegale Parteispenden kassiert hat und im Gegenzug Ermittlungen des Fiskus wegen Steuerhinterziehung niederschlagen ließ. Auch sich selbst hat er nicht vergessen, indem er Patrice de Maistre, den Vermögensverwalter von Liliane Bettencour, veranlasste, seiner Ehefrau einen hoch dotierten Job als »Anlageberaterin« zu verschaffen.
Über Monate hat Woerth erst alles abgestritten, um dann angesichts der vorgelegten Beweise nach und nach seine aktive Rolle einzuräumen, jedoch zugleich die Tragweite herunterzuspielen. Hatte er anfangs noch behauptet, Patrice de Maistre »nur flüchtig« zu kennen und ihm den Orden der Ehrenlegion »rein routinemäßig« in seiner Funktion als Minister angeheftet zu haben, so wurden am Wochenende zwei Briefe veröffentlicht, in denen dieser den Minister als »Lieber Eric« anredete, für die Fürsprache bei Präsident Sarkozy dankte und ihn bat, die Auszeichnungszeremonie persönlich vorzunehmen.
Während die Sozialistische Partei angesichts dieser Entwicklungen den unverzüglichen Rücktritt von Woerth fordert, gehen die Gewerkschaften nicht so weit. Doch sie machen keinen Hehl daraus, dass der Arbeitsminister auch für sie »moralisch angeschlagen und nicht die geeignetste Persönlichkeit für die unerlässlichen Verhandlungen« ist, wie CGT-Sekretär Bernard Thibault einschätzt. In der Rechtsregierung und unter den UMP-Abgeordneten wächst das Unbehagen über die »Selbstdemontage« von Woerth. Doch für Sarkozy ist es zu spät, seinen Minister zurückzuziehen, den er nur zu oft öffentlich in Schutz genommen hat gegen das, was er eine »durch die Linke organisierte Menschenjagd« nennt.
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