Aufstand gegen Sarkozy-Pläne
Franzosen wehren sich mit Streik- und Aktionstag gegen Rentenreform der Rechtsregierung
Der Termin für den Aktionstag war bewusst gewählt: Am Dienstagnachmittag begann in der Nationalversammlung die Debatte über das Rentenreformgesetz. In Paris und anderen Großstädten des Landes, aber auch in vielen kleineren Städten, fanden mehr als 190 Demonstrationen statt, an denen sich nach Angaben des Innenministeriums über eine Million Menschen beteiligte. Anders als bei vorangegangenen Protesttagen in diesem Jahr hatten diesmal alle großen Gewerkschaftsverbände gemeinsam zur Teilnahme aufgerufen. Entsprechend massive Streiks gab es in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes, aber auch in vielen Privatbetrieben.
Der Eisenbahnverkehr ruhte zu mehr als zwei Dritteln, ein Viertel aller Flüge fiel aus. In über 100 Städten streikten die Mitarbeiter der Nahverkehrsbetriebe und sicherten nur den gesetzlich vorgesehenen Minimalverkehr. Die Lehrer hatten bereits am Montag die Arbeit niedergelegt, weil sie auch gegen die Streichung von 12 000 Stellen in diesem Jahr und gegen die Kürzungen im Bildungsbereich protestieren wollten.
Umfragen zufolge sehen 63 bis 70 Prozent der Franzosen die Streiks und Demonstrationen als gerechtfertigt und notwendig an. Das zeugt von der starken Ablehnung der Rentenpläne von Präsident Nicolas Sarkozy und seiner Regierung. Die Reform soll möglichst schon in einer Woche per Mehrheitsentscheidung der Abgeordneten der Regierungspartei UMP in der Nationalversammlung und noch vor Monatsende im Senat Gesetzeskraft bekommen. Dabei sind sich die meisten Franzosen klar darüber, dass eine Reform des Rentensystems unausweichlich ist. Mehr als die Hälfte sehen sogar das von 60 auf 62 Jahre heraufgesetzte Rentenalter – was von linken Parteien und Gewerkschaften noch vehement bekämpft wird – als »so gut wie beschlossene Sache« an. Aber die übergroße Mehrheit schätzt ein, dass die Reform in ihrer jetzigen Form äußerst ungerecht ist. So sei beispielsweise nicht berücksichtigt, dass Arbeiter im Schnitt eine um 7 bis 10 Jahre geringere Lebenserwartung haben als Büroangestellte, meist schon sehr jung ins Arbeitsleben eingetreten sind und somit sehr lange Beiträge bezahlt haben. Nach dem jetzigen Stand der Reformpläne soll künftig ein vorzeitiger Einstieg ins Rentenalter mit 60 Jahren nur im Einzelfall möglich sein, wenn ein medizinischer Gutachter mindestens 20 Prozent Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Völlig unberücksichtigt bleiben gesundheitliche Belastungen wie langjährige Nachtarbeit, Arbeit unter Lärm und schädlichen Dämpfen oder Staub. Die Regierung hat durchblicken lassen, dass sie bereit sein könnte, hier noch Zugeständnisse zu machen – Hauptsache, das Rentenalter 62 wird erreicht.
Über 700 Änderungsanträge haben nicht nur die linken Oppositionsparteien im Parlament eingereicht. Auch Abgeordnete der UMP legten einige Vorschläge vor, mit denen die Reform noch in Details abgemildert werden könnte. Doch alles hängt davon ab, wie massiv und eindrucksvoll die Proteste ausfallen. Die Gewerkschaften schließen nicht aus, dass sie schon in 10 bis 14 Tagen zu erneuten Streiks und Demonstrationen aufrufen.
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