»Zeichenhaftes Handeln«
Fachtagung: Kirchenasyl notwendig, um von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen zu helfen
Magdeburg (dpa/ND). Das Kirchenasyl ist aus Sicht der beiden großen Kirchen nach wie vor notwendig, um von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen in existenzieller Not zu helfen. In Sachsen-Anhalt und Thüringen habe es seit 2002 etwa 15 Fälle von Kirchenasyl gegeben, sagte die Beauftragte der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) für Migration, Petra Albert, am Mittwoch bei einer Tagung in Magdeburg. »Es geht nicht um riesige Zahlen, es geht um zeichenhaftes Handeln.«
Der katholische Magdeburger Bischof Gerhard Feige sagte, die Kirchen nähmen dabei keinen rechtsfreien Raum in Anspruch. Sie bestritten auch nicht das Recht des Staates, seine Entscheidungen durchzusetzen. Allerdings sei es ureigene Aufgabe der Kirchen, überall dort mahnend einzugreifen, wo Rechte von Menschen verletzt würden. »Kirchenasyl hat den Charakter eines vorläufigen Schutzes und des öffentlichen Protestes, um Zeit für eine erneute Überprüfung des Asylgesuches zu gewinnen«, betonte Feige bei der ökumenischen Fachtagung mit dem Titel »Endstation Kirchenasyl?«.
Bundesweit seien im vergangenen Jahr 81 Menschen in Obhut der Kirchen genommen worden, sagte die Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche, Fanny Dethloff. Allerdings meldeten nicht alle Gemeinden ihre Fälle. Die Hälfte der Kirchenasyle sei auf Kinder entfallen. Insgesamt nehme die Zahl der Fälle ab seit es Härtefallkommissionen gebe, sagte Dethloff. In etwa 80 Prozent sei ein Kirchenasyl erfolgreich, die Flüchtlinge können zunächst in Deutschland bleiben.
Dethloff betonte, dass ein Kirchenasyl für alle Beteiligten sehr schwierig sei. Die Gemeinden hätten es oft mit kranken und schwer traumatisierten Menschen zu tun, die teils schon länger illegal in Deutschland lebten. In der Regel dauere ein Kirchenasyl sechs bis zwölf Monate. Häufig seien die Betroffenen Kurden aus der Türkei oder Roma aus Kosovo. Die in Not geratenen Menschen haben keine gültigen Papiere, erhalten keine Sozialleistungen und sind nicht krankenversichert. Wenn sie aufgegriffen werden, müssen sie mit ihrer sofortigen Abschiebung rechnen. Die psychische Belastung ist oft übergroß.
Die Vorsitzende der Härtefallkommission Sachsen-Anhalt, Monika Schwenke, sagte: »Das gute Herz schlägt zuerst.« Allerdings könnten die Gemeinden die Konsequenzen oft nicht abschätzen, deshalb habe sie manchen schon abgeraten. Es gebe auch noch eine Zeit nach dem Kirchenasyl, in der die Betroffenen Begleitung und Rat bräuchten.
Nach Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche haben seit 1983 etwa 2500 Menschen in Kirchengemeinden Schutz vor einer unmittelbaren Abschiebung gefunden.
Kirchenasyl
Das Kirchenasyl hat eine uralte Tradition, ist nicht rechtlich verankert und seit Langem umstritten. Kritiker des Kirchenasyls meinen, die Kirchen wollten damit einen rechtsfreien Raum schaffen und die Souveränität des Staates infrage stellen. Kirchenvertreter argumentieren dagegen, sie wollten und könnten im Rechtsstaat gar keinen rechtsfreien Raum in Anspruch nehmen.
Die Institution des Asyls existiert seit mindestens 3500 Jahren und hat religiöse Wurzeln. Verfolgte konnten etwa in Tempeln Schutz finden. Seit dem 4. Jahrhundert wurde der Asylschutz, den Verfolgte in den Tempeln gefunden hatten, auf die christlichen Kirchen ausgedehnt. Bis zum 19. Jahrhundert gab es auch ein kirchliches Asylrecht, das dann abgeschafft wurde. Seither ist das Kirchenasyl lediglich ein symbolischer Akt. dpa/ND
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