Von der Leyen mit »sozialer Kälte pur«
Opposition kritisiert in Haushaltsdebatte des Bundestages Einschnitte bei Hartz-IV-Betroffenen
Berlin (AFP/ND). Mehr als 2000 »letzte Hemden« flatterten rundum auf Wäscheleinen am Donnerstag vor dem Berliner Reichstagsgebäude im Wind. Sechs Organisationen protestierten damit gegen das Sparpaket der Regierung. Die zentrale Forderung der Verbände lautete »Reiche besteuern statt Arme schröpfen«.
Unterstützt wurde die Aktion unter anderem von der Arbeiterwohlfahrt, dem Netzwerk Attac und dem Aktionsbündnis Sozialproteste. Zugleich verlangen fast 60 000 Bürger, die den Appell »Kein Streichkurs im Sozialen« unterzeichnet haben, von Arbeits- und Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU), nicht bei den Schwächsten zu sparen.
Von der Leyen (CDU) verteidigte in der Bundestags-Debatte über ihren Sozialhaushalt die Einschnitte für Hartz-IV-Betroffene im Zuge des Sparpakets. »Das ist schmerzhaft, aber das ist nicht unverhältnismäßig«, sagte sie. Die Opposition kritisierte die Kürzungen als »soziale Kälte pur«.
Die Ministerin verwies darauf, dass die Finanzlage der Sozialkassen durch die anziehende Wirtschaft und das Absinken der Arbeitslosigkeit besser sei als zunächst angenommen. Sie hob hervor, dass im Etatentwurf bewusst bei den Renten oder bei Menschen mit Behinderungen nichts verändert worden sei.
»Wir sparen da, wo das eingesetzte Geld kaum Wirkung hat«, sagte von der Leyen mit Blick auf den Wegfall der Rentenbeiträge für Hartz-IV-Bezieher. Derzeit würden 1,8 Milliarden Euro dafür ausgegeben, dass ein Langzeitarbeitsloser »später gerade einmal zwei Euro mehr Rente im Monat hat«.
Der Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Soziales für 2011 ist mit rund 131,8 Milliarden Euro der größte Einzeletat, aber mit einem deutlichen Minus von 7,9 Prozent. Als weitere Sparmaßnahme soll der bisherige Zuschlag beim Übergang vom Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II entfallen. Zudem wird der Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger gestrichen. Das Elterngeld soll bei einem anzurechnenden Nettoeinkommen von mehr als 1240 Euro im Monat von 67 Prozent auf 65 Prozent sinken. Hartz-IV-Empfänger erhalten kein Elterngeld mehr.
Scharfe Kritik an den Einschnitten kam von der Opposition. Der Haushalt schmälere die Chancen von Kindern, von Alleinerziehenden und Familien, kritisierte die SPD-Abgeordnete Bettina Hagedorn. »Das ist soziale Kälte pur, das ist menschenverachtend und das ist kinderfeindlich«, sagte Hagedorn mit Blick auf die Einschnitte bei Elterngeld und Heizkostenzuschuss. Linksparteichef Klaus Ernst sprach von »Kürzungsorgien« und forderte die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns. Der Grünen-Abgeordnete Markus Kurth kritisierte, der Haushalt verschiebe die Lasten in die Zukunft oder auf andere Stellen wie die Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit.
Auch der Sozialverband Deutschland kritisierte das Sparpaket. Es sei ein Armutszeugnis, dass die Bundesregierung ihre Sparziele vor allem mit Sozialkürzungen erreichen wolle, sagte Präsident Adolf Bauer. Insbesondere Langzeitarbeitslose müssten einen hohen Preis für dieses »Stück aus dem Tollhaus« bezahlen. Die Streichung sowohl der Rentenbeiträge als auch des Elterngeldes für Hartz-IV-Bezieher und Kürzungen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik bedeuteten tiefe Einschnitte. Spitzenverdiener und Vermögende blieben hingegen ungeschoren.
Zuvor hatte Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) die Lage auf dem Arbeitsmarkt schöngeredet. »Das deutsche Jobwunder löst Hunderttausende persönliche Konjunkturprogramme aus«, sagte er in der Haushaltsdebatte. In Bayern und Baden-Württemberg gebe es quasi Vollbeschäftigung. Jetzt müsse der Bund vom Krisenmodus auf den Wachstumsmodus umschalten und die Staatshilfen auslaufen lassen. Brüderle kritisierte die SPD, die dem Mittelstand 50 bis 60 Prozent der Gewinne abknöpfen wolle. SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil nannte dagegen Brüderle einen »Grüßaugust«, der nur Klientelpolitik zu bieten habe.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.