Kritik in Vers und Prosa

Rostock: Programmdebatte bei Nord-Landesverbänden der LINKEN

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Kontroversen um das Parteiprogramm der LINKEN sind sachlicher geworden, die Grundlinien der Diskussion bleiben aber unverändert – so lässt sich die Regionalkonferenz zum Parteiprogramm in Rostock zusammenfassen.

Hannah Arendt, Polanyi, Marx: Schon die Bücher, die am Samstag auf den Tischen in der Rostocker Stadthalle lagen, machten klar: Hier geht’s um das Eingemachte. Stets eine heikle Sache, wenn Linke beteiligt sind – und so konnte man sich von der Veranstaltung einen heftigen Schlagabtausch erwarten. Dazu kam es dann auch, als gegen Ende einige Mitglieder des Hamburger Parteiverbandes ihren Unmut darüber äußerten, dass nicht alle Wortmeldungen berücksichtigt werden konnten. Laute Unmutsäußerungen flogen kreuz und quer durch den Saal, es erinnerte an frühere Jahre. Generell aber musste, wer aus Gründen des verbalen Krawalltourismus gekommen war, von der Veranstaltung enttäuscht sein.

Richtig gekracht hat es nämlich nur einmal: Zwischen der Berliner Minderheit um Ellen Brombacher und der KPF auf der einen und dem Hauptstadt-Parteichef Klaus Lederer auf der anderen Seite. Brombacher, die im Vorfeld der Konferenz die »13 Thesen« des Forums demokratischer Sozialismus (FdS) in einem Replik-Papier als einen »Frontalangriff« auf den Kern sozialistischer Programmatik bezeichnet hatte, reagierte als eine der ersten Kritikerinnen auf das Eingangsreferat von Dieter Klein.

»Ich finde das übel, Ellen ...!«

Der Gesellschaftsanalytiker von der Rosa-Luxemburg-Stiftung hatte für ihre Begriffe zu viel Aufhebenswertes am Kapitalismus gesehen – und sich so aus KPF-Sicht wohl auf die Seite des FdS geschlagen. Es dürfe, sagte Brombacher, und nahm dabei auch den Nordost-Landeschef Steffen Bockhahn maß, in etlichen Fragen keine »Flexibilität« geben; der Kapitalismus sei noch viel »destruktiver, verwerflicher« als im Programmentwurf beschrieben. Auf ihren Beitrag – und wohl auch auf das KPF-Papier gegen die FdS-Thesen – reagierte gegen Ende der Veranstaltung ein aufgebrachter Lederer: Es dürfe nicht »jeder zweifelnde Gedanke« als Wegmarke Richtung »Kriegstreiberei und Neoliberalismus denunziert« werden, polterte er: »Ich finde das übel, Ellen …!«

Die Grundstruktur der Programmdebatte ist unverändert: Die linken Strömungen und Gruppen verteidigen den Entwurf im Grundsatz, die »Pragmatiker« finden vieles zu apodiktisch und fürchten Vorfestlegungen – selbst an zentralen Punkten: Die Berlinerin Halina Wawzyniak sprach sich sogar gegen die Ablehnung der Rente mit 67 im Text aus. »Ich möchte, dass das Programm auch in 15 Jahren noch gilt – und dann werden wir ganz andere Debatten führen«, so die Parteivizechefin.

Es hätte also beileibe genug Stoff gegeben, die Diskussion gewaltig zuzuspitzen, und an launigen Redebeiträgen war auch kein Mangel. Doch nahm die Debatte einen insgesamt überraschend konstruktiven Verlauf; selbst die für gewöhlich besonders ätzende, weil schnell persönlich werdende Grundsatzdebatte über Regierungsbeteiligungen fiel vergleichsweise milde aus: Die Abrechnung kam diesmal in gereimter Form. Jemand aus Hamburg trug eine »Ode an das Mitregieren« vor: »Gleicht Euch an / ob Frau, ob Mann«.

Nicht einmal die ewige Gretchenfrage »Reform oder Revolution« sorgte für echten Zoff: Auf Dieter Kleins Ansatz der »Transformation« konnten sich letztlich alle einigen. Demnach soll die Partei vermittelbare Reformprojekte entwickeln, die im Hier und Jetzt ansetzen, in ihrer Logik aber über die Grenzen des Kapitalismus hinausweisen. Für Parteivize Katja Kipping ist das bedingungslose Grundeinkommen ein solches Projekt – das allerdings weiterhin stark umstritten ist, auch jenseits der üblichen Konfliktlinien. Ein anderes »Referenzprojekt« wurde auf den Gängen viel diskutiert: die Bürgerversicherung, ein Testfall für die Durchsetzungsfähigkeit gegen wirklich mächtige Lobbyisten. »So sind wir im richtigen Fahrwasser«, kommentierte ein Parteimitglied aus Berlin-Kreuzberg, das nach eigenem Bekunden mit großen Bauchschmerzen nach Rostock aufgebrochen war.

Einig über Guttenbergs Auf- statt Abrüstung

Bestätigt hat die Veranstaltung auch, dass der zweite Casus Belli im friedenspolitischen Teil liegt. Für den Begriff des »Imperialismus« etwa, der laut Wortbeitrag eines FdS-Mannes »die Komplexität internationaler Beziehungen unzureichend abbildet«, würden weite Teile des radikaleren Parteiflügels kämpfen – auch wenn die Sache mit der »Friedensfähigkeit des Kapitalismus« noch nicht ausdiskutiert scheint. Im Workshop zeichneten sich aber auch konkrete Projekte ab: Ausgehend von Erfahrungen aus dem Osten und Norden, so der Tenor, könne sich die Partei einen Experten-Status in Fragen der Konversion erwerben. Einig war man auch in der Analyse der angekündigten Guttenberg-Bundeswehrreform: Es handle sich um eine Aufrüstung, auch wenn die Truppe verkleinert wird.

Keine wirkliche Antwort bekam dagegen die Genossin aus Brandenburg, die nachfragte, ob sich die Haltung der Partei zur Internationalen Luftfahrtausstellung (ILA) eigentlich geändert habe: Jahrelang hatte sie den Leuten erzählt, das sei eine böse Rüstungsshow – und nun kämpfe die rot-rote Regierung in Berlin mit viel Geld gegen eine mögliche Abwanderung der Fliegerei-Messe von Berlin-Schönefeld nach Leipzig.

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