Viermal Karneval an einem Abend

Hannover 96 ist besser als sein Image – die neue Harmonie bekommt Werder Bremen beim 4:1 zu spüren

  • Christian Heinig, Hannover
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigentlich müsste ein Besuch bei Hannover 96 Aufschluss darüber geben, warum diesem Klub das Image einer grauen Maus anhaftet. Seit sieben Jahren sind die 96er wieder erstklassig, den Charme und die Chuzpe aber, die zum Beispiel der feurige FSV Mainz 05 versprüht, glaubt man hier nicht zu finden. Ein glatter Irrglaube ist das. Man findet jede Menge, nur keine grauen Mäuse.

Da ist die Vereinshymne »96-alte Liebe«, bei der die gesamte Nordkurve in schiere Extase gerät, während die Teams in die Arena marschieren. Ein echter Hinhörer und Hingucker. Da ist zudem das Publikum, das bei jedem Tor ein dreiminütiges Karnevalsfest auf den Rängen vollführt. Ein echter Farbtupfer. Und dann ist da noch die Ballbrigade unten auf dem Rasen. Ein paar rote Raketen, so wie sie am Dienstagabend auftrumpften. Da düpierten sie die Spieler von Werder Bremen mit 4:1, die dabei irgendwie mäusegrau wirkten.

Nur wenige Minuten nach dem Abpfiff stand der Hannoveraner Christian Schulz im Bauch der Arena, und es schien, als würde er gleich platzen vor Stolz. »Das war ein schöner Abend – für uns und für den Verein«, sagte er. Dann grinste er kurz, und fuhr fort. »Wir hatten noch vier oder fünf weitere hundertprozentige Chancen, die die Bremer nicht hatten. Das zeigt, wie überlegen wir waren.« Ihm selbst war mit dem vorentscheidenden 3:1 (79.) sogar ein eigenes Tor geglückt, was bei dem Linksverteidiger sonst fast so selten vorkommt wie eine Meisterschaft bei 96 – die letzten beiden gab es 1938 und 1954 zu feiern.

Hannovers Taktik ist simpel: beherzt verteidigen, druckvoll angreifen. Mit einer rustikalen Defensivgangart will man dem Gegner den Spaß am Fußball nehmen. Es ist genau jene Aggressivität und Laufbereitschaft, die Werders Manager Klaus Allofs bei seiner Mannschaft derzeit so schmerzlich vermisst. Kapitän Torsten Frings monierte: »Wir arbeiten nicht wirklich als Mannschaft. Wir wehren uns nicht und lassen alles über uns ergehen.«

Ganz anders Hannover, hier gehört Einsatz zur Gesinnung. Didier Ya Konan, Hannovers quirliger Stürmer, der gegen Bremen sein drittes Saisontor erzielte, meinte auf die Frage eines Reporters, wie er sich denn zu seinem 90-minütigen Dauersprint motiviert habe, geradezu demütig. »Das ist meine Mentalität. Ich will laufen, ich will kämpfen.« Eine Beschreibung, die sich ohne Umschweife auf das gesamte Team übertragen ließe.

Dass die 96er kämpfen können, haben sie vor gut vier Monaten bewiesen. Da standen die Niedersachsen faktisch am Abgrund. Zwölf Niederlagen in Serie musste das Team verkraften, am Ende aber retteten sie die Klasse, dank eines 3:0 am letzten Spieltag beim VfL Bochum. Heute ist die Rede von Teamgeist, von Zusammenhalt. Selbst Rückschläge wie das 0:2 vom vergangenen Wochenende beim VfL Wolfsburg steckt 96 derzeit scheinbar problemlos weg.

»Das verdient Respekt«, findet Trainer Mirko Slomka. Ihm ist es in den zurückliegenden Wochen gelungen, aus einem Kader, der nach dem Pokalaus gegen den Viertligisten Elversberg eine Woche vor dem Bundesligastart von Präsident Martin Kind noch für »nicht bundesligatauglich« befunden wurde, eine harmonische Einheit zu zimmern.

Die Stützen der Mannschaft sind in der Innenverteidigung zu finden, wo der erfahrene Österreicher Emanuel Pogatetz, der vor der Saison ablösefrei vom FC Middlesbrough kam, und der tunesische Nationalspieler Karim Haggui ein solides Duo bilden. Und im Sturm wirbelt der Ivorer Ya Konan gemeinsam mit dem neu verpflichteten Mohammed Abdellaoue, einem Norweger mit marokkanischen Wurzeln, der gegen Bremen zum Endstand traf. Allein sechs der zehn Saisontore gehen auf das Konto von »Didi« und »Moa«, wie sie in Hannover genannt werden.

Bei 96 aber droht niemand, vorschnell euphorisch zu werden. »Der Saisonstart ist gut«, sagt Ya Konan, auf die Tabelle aber schaue er nicht. »Wir arbeiten hart, Spiel für Spiel. Mal sehen, wo das hinführt.« Viele Fußballer haben solche Sätze schon tausendfach vor ihm abgespult, bei Ya Konan klingt das allerdings irgendwie glaubwürdiger. Fast schon charmant, mit einem Hauch Chuzpe.


Bundesliga, 5. Spieltag

Mainz - Köln 2:0 (0:0)
Hoffenheim - FC Bayern 1:2 (1:0)
Hannover - Bremen 4:1 (1:1)
Leverkusen - Frankfurt n. Red.
Dortmund - Kaiserslautern n. Red.
Hamburg - Wolfsburg n. Red.
Mönchengladbach - St. Pauli n. Red.
Freiburg - Schalke n. Red.
Nürnberg - Stuttgart n. Red.

1. FSV Mainz 05 5 12:4 15

2. 1899 Hoffenheim 5 10:5 10

3. Hannover 96 5 10:7 10

4. Borussia Dortmund 4 8:4 9

5. SC Freiburg 4 6:5 9

6. Hamburger SV 4 7:4 8

7. Bayern München 5 4:4 8

8. Kaiserslautern 4 8:5 7

9. Bayer Leverkusen 4 7:8 5

10. FC St. Pauli 4 4:4 4

11. 1. FC Köln 5 4:9 4

12. Werder Bremen 5 6:12 4

13. Mönchengladbach 4 7:15 4

14. VfB Stuttgart 4 9:7 3

15. Eintracht Frankfurt 4 6:6 3

16. 1. FC Nürnberg 4 3:4 3

17. VfL Wolfsburg 4 6:8 3

18. FC Schalke 04 4 3:9 0

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -