Plutokratische Grundordnung?

  • Harry Nick
  • Lesedauer: 3 Min.
»Es gilt, die kapitalistischen Mechanismen der Demokratiezerstörung beständig zu verfolgen und zu bekämpfen.«
»Es gilt, die kapitalistischen Mechanismen der Demokratiezerstörung beständig zu verfolgen und zu bekämpfen.«

Für die Rechtfertigung aktuellem Regierungshandelns wird gerne die »freiheitlich-demokratische Grundordnung« bemüht. Fehlt da nicht etwas? Was ist mit dem Spruch »Geld regiert die Welt«?

Der bewahrheitet sich nicht nur im schamlosen Kreuzzug der Regierung gegen die sozial Schwächeren. Er erklärt auch die Leitplanken der Regierungspolitik früherer politischer Koalitionen rosa-grüner Couleur. Den Armen wird genommen, den Reichen wird gegeben. Der Reichtumskult, die »Aufwärtssolidarität«, d. h. das Streben nach mehr Besitz, nach der Lebenswelt der Reichen als allgemeines soziales Leitbild, gehören zur neoliberalen Religion.

Wer ist frei, wer unfrei in dieser Gesellschaft.? Für die Neoliberalen ist dies eine klare Sache: Frei sind diejenigen, die genügend haben, und unfrei diejenigen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind. Diese Hilfe sei »sozialpolitische Bevormundung, nimmt den Bürgern Freiheit und schwächt das wirtschaftliche und soziale Potenzial unseres Landes«, heißt es in der »Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft«, dem Memorandum der Neoliberalen. Man müsse den Menschen »Mut machen, den Weg aus der sozialen Unmündigkeit zu wagen«.

Für Joachim Gauck ist soziale Fürsorge ein Geschenk der Wohlhabenden, vergleichbar mit der Fürstengunst früherer Zeiten. »Fürsorge kann entmächtigend wirken, wenn der Staat die Rolle eines gütigen Fürsten annimmt, dessen Gestus die Empfänger zu Mündeln macht und ihre Abhängigkeit fördert.« Dass Menschen mit unzureichendem Einkommen ein staatsbürgerliches Recht auf Sozialleistungen haben, kommt Neoliberalen nicht in den Sinn. Nicht die Sozialleistungen, sondern deren miserables Niveau rauben den Menschen elementare Freiheiten.

Der Anspruch auf Sozialleistungen gründet sich auf das staatsbürgerliche Recht aller auf ein Leben in Würde, wie Artikel 1 des Grundgesetzes es verkündet. Armen wird diese Würde genommen. Hieraus zu folgern, dass solche Artikel nicht das Papier wert seien, auf dem sie stehen, gehört zu den verbreitetsten, aber auch dümmsten Folgerungen. Gerade in den Kämpfen um dieses Recht erweist sich, wie wichtig es ist, dass es in der Verfassung steht. Es sollte überhaupt der Neigung vieler Linker, das Formalrechtliche wegen der andersartigen Wirklichkeit gering zu schätzen, nicht nachgegeben werden.

Kapitalismus und Demokratie stehen konträr zueinander, sie folgen unterschiedlichen Prinzipien: Demokratie postuliert die Gleichheit aller Bürger, Kapitalismus bedeutet soziale Ungleichheit, die auf alle Lebensbereiche durchschlägt. Die Frage ist: Soll die Gesellschaft nach dem Prinzip der autoritären Unternehmensverfassung funktionieren oder soll die Wirtschaft demokratisiert werden? Es gilt, die kapitalistischen Mechanismen der Demokratiezerstörung beständig zu verfolgen und zu bekämpfen.

Zu den schlimmsten kapitalistischen Übeln gehören heute, dass auf jeden Bundestagsabgeordneten im Durchschnitt fünf bis sechs hauptberufliche Lobbyisten kommen; dass Bestechung von Beamten verboten ist, nicht aber die von Abgeordneten; dass auf den Lohnlisten der Konzerne Angestellte der Ministerien stehen; dass Manager und Beamte zwischen Konzernen und Behörden wechseln.

Ob die bundesdeutsche Wirklichkeit der Plutokratie, also der Herrschaft der Reichen, näher ist als der Demokratie, der Herrschaft des Volkes, mag unterschiedlich gesehen werden. In jedem Falle aber ist die Wirklichkeit nur zu verstehen, wenn man beides sieht.

In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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