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Deutsche Verwirrungen
Zu den seltsamen Nachrichten, die zuletzt gestreut wurden, gehört die, dass Bundespräsident Wulff intensiv an seiner Rede für den 3. Oktober feilt, den Kampf- und Feiertag der großen Sieger. Für die sich nicht alle Bürger halten können und wollen. Es wurden sogar Namen ausgeplaudert von Leuten, die Wulff schon konsultiert hat. Da staunt der normal Werktätige ein wenig. Denn einerseits möchte man Peilung und Feilung bei jeder Arbeit voraussetzen – erst recht, wenn der Bundespräsident im öffentlichen Raum das Wort an sich reißt.
Andererseits sind dem Staatsoberhaupt von Angela Merkels Gnaden seine ersten verbalen Einlassungen fast alle voreilig und ungenau geraten. Vielleicht bedurfte es bei ihm der Erfahrung des Zurückruderns in den Fällen Sarrazin und Loveparade, um zu verstehen, dass auch im höchsten Staatsamt intensiv nachgedacht und gefeilt werden muss. Extra mitteilen lassen brauchte er uns das nicht. Seine eigene Adresse hätte gereicht.
Ein klärendes Wort in deutsch-deutschen Dingen wäre indes fraglos hilfreich, wie aktuelle Vorgänge auch im Kleinsten zeigen. Die Meldung zum Tode des Malers Walter Womacka trug bei n-tv unter Berufung auf dpa die Überschrift: »Ex-DDR-Künstler Womacka gestorben«. Was wollten uns die Dichter damit sagen? War Walter Womacka ein Künstler, dem die Künstlerschaft in der DDR irgendwann aberkannt wurde? Nur vom Gegenteil weiß man: Sie wurde ihm immer wieder bestätigt. Oder sollen alle glauben, Womacka sei einzig in der DDR ein Künstler gewesen und mit deren Ende plötzlich keiner mehr, weil die Alt-Bundesrepublik künstlerisch auf ganz anderer, selbstverständlich höherer Stufe steht?
Für diese Lesart spricht der erste Satz der Meldung: »Der frühere DDR-Künstler Walter Womacka ist mit 84 Jahren gestorben.« Dies könnte auch bedeuten, der Maler Womacka wäre nur in der ganz frühen DDR künstlerisch tätig gewesen und habe später aus nicht genannten Gründen der Kunst entsagt. Ebenfalls Blödsinn. Das Gestammel zeigt schlicht: Womacka ist im Zuge unserer schönen deutschen Einheit durch die Eignungsprüfung der amtierenden Praktikanten in Nachrichtenagentur und Sender gefallen. Die verrichten ihre Arbeit offenkundig in Tateinheit von Gedanken- und Ahnungslosigkeit, verbunden mit beachtlicher Ausdrucksschwäche.
Könnte man nach 20 Jahren deutscher Einheitsstaat vielleicht dazu übergehen, die Künstler einfach nach ihren Werken zu beurteilen? Und dies auch die Agenturen wissen lassen? Dann wäre ein Mann wie Womacka nicht von vornherein verdächtig, weil er Vizepräsident beim Verband Bildender Künstler der DDR und Rektor einer Hochschule gewesen ist. Damit habe er seinem Staat gedient, war ebenfalls zu lesen. Aber was ist dann beispielsweise mit einem wie, nun ja, Gunther Emmerlich? Wem hat er gedient, als er im DDR-Fernsehen die besten Sendezeiten nicht schlecht füllte, was er heute mitunter auch noch darf? Beiträge zur Unterminierung der DDR waren die Sendungen seinerzeit wirklich nicht, auch wenn er es im Nachhinein ein wenig so hinzudrehen versucht hat.
Denn darauf kommt es an: Hoffähigkeit heute stellt sich nicht zuletzt her über bereitwilliges Schlechtreden der DDR in allen ihren Teilen. Für ernste DDR-Kritik gibt es unbestreitbar handfeste Gründe, für Durchgängigkeit und allzu große Bereitwilligkeit dazu nicht. Oder eben doch. Wer zu Diensten ist, dem spricht, siehe Emmerlich, keiner die künstlerischen Fähigkeiten ab, sofern sie überhaupt vorhanden sind.
An Dienstbarkeit dieser Art hat es Walter Womacka freilich fehlen lassen. Und damit auch keine Handhabe geliefert, Kritik an der DDR im Handumdrehen umzumünzen in ein Hohelied auf gegenwärtige Verhältnisse. Das ist selten gemeint, wenn zu Recht kritisiert wird, dass die DDR ihre eigenen Maßgaben am Ende mit Füßen trat. Was früher nicht in Bausch und Bogen schlecht war, ist heute nicht in Bausch und Bogen gut. Wulff hätte viel zu sagen.
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