Weichenstellung in Pjöngjang
Bringt Kim Jong Il seinen jüngsten Sohn als Nachfolger in Stellung?
Warum Naenara nicht mehr sendet, bleibt ein Geheimnis. Auch Nachfragen in der Botschaft in Berlin bleiben ohne Resultat. Dort versteht man die Frage nicht, will sich aber kümmern. In drei oder vier Tagen könne man eventuell Auskunft geben. Damit bleibt alles, was über den nördlichen Teil der koreanischen Halbinsel zu lesen und zu hören ist, zu einem hohen Grad Spekulation.
Stimmen die Gerüchte, dann wird heute, am 28. September, in Pjöngjang ein Kongress der Partei der Arbeit Koreas (PdAK) eröffnet. Was auf dem Parteitag beraten wird, wer die Delegierten sind, welche Ziele verfolgt werden – das wird erst nach Abschluss der Tagungen bekannt gegeben werden. Vorher wurde nur mitgeteilt, dass ein Delegierter auf allen Delegiertenkonferenzen einmütig und mit überschäumender Freude gewählt wurde: Kim Jong Il, Generalsekretär der Partei, Vorsitzender der Nationalen Verteidigungskommission und Oberbefehlshaber der Volksarmee.
Bereits zu Monatsbeginn waren die ersten Delegierten angereist. Pjöngjangs Bevölkerung wurde in Feststimmung versetzt. Eine Fernsehsprecherin verkündete pathetisch: »Alle müssen zusammenstehen – das Spitzentreffen der Parteidelegierten rückt Tag für Tag näher.« Doch dann zog wieder Ruhe ein, die Delegierten kehrten in ihre Heimatorte zurück.
Nun also der zweite Anlauf. Das Land befinde sich »mit großen Sprüngen« auf dem Weg zu einer »großen und aufblühenden Nation«, ist in allen offiziellen Mitteilungen zu lesen. Für die KDVR beginnt die Zeitrechnung mit dem Jahr, da der »ewige« Präsident Kim Il Sung das Licht der Welt erblickte. Das war 1912. Am 15. April dieses Jahres wäre der Erfinder der Dschutsche-Ideologie, nach der das Land beherrscht wird, 98 Jahre alt geworden. Nordkorea lebt demnach jetzt im Jahr 99 des Dschutsche-Zeitalters.
Vermutet wird, dass der Parteitag vor allem die Weichen für die Nachfolge des offensichtlich kranken Führers Kim Jong Il stellen soll. Wie der einst das Erbe seines Vaters Kim Il Sung antrat, will er nun vermutlich seinen jüngsten Sohn Kim Jong Un in Stellung bringen. Nicht dass der gleich die Führung übernähme. Es genügte, dass sein Name auf dem Parteitag eine Rolle spielt, das wäre Zeichen genug dafür, dass das Volk auf einen neuen Führer und eine Zukunft ohne Kim Jong Il vorbereitet werden soll.
Als der »Große Führer« Kim Il Sung 1996 starb, war Kim Jong Il längst als Nachfolger bekannt. Seit 1980, dem Jahr des 6. und bisher letzten Parteitags der PdAK, war er in der Parteihierarchie systematisch aufgestiegen. So hatten Historiker und Propagandisten genügend Zeit, Legenden zu schmieden – über einen Heldenvater, der 1945 den japanischen Militarismus und 1953 den amerikanischen Imperialismus zerschlug, über eine Heldenmutter, die in vorderster Front, quasi im Schlachtgetümmel, mit der aufgehenden Sonne am heiligen Berg Paektu einen Sohn gebar, der auserkoren war, als Genie ein unumschränkter Herrscher zu werden. Präsident konnte er freilich nicht werden, der Titel war schon an seinen Vater vergeben, also führte er das Land ab 1994 als »General«, der »den unvergänglichen Marsch der patriotischen Selbstaufopferung« gegangen war.
Eine ähnliche Biografie für den Nachfolger zu erfinden, dürfte schwierig werden. Der Personalie Kim Jong Un lassen sich weder siegreiche Schlachten noch geniale Erfindungen zuordnen. Seine Mutter Ko Yong Hui, Gattin Nummer 3 des »Generals«, war eine Tänzerin, die vor Jahren an Krebs starb. Um die 29 Jahre alt soll der Thronanwärter sein, in der Schweiz soll er eine Schulausbildung genossen haben. Da werden die Propagandisten Schwerstarbeit leisten müssen, dem Volk nahe zu bringen, dass ihr künftiger Leitstern sein Wissen nicht auf koreanischem Boden erlangt hat.
Doch es dürfte auf dem Parteitag um mehr gehen als um Personalentscheidungen. Bis 2012, wenn der 100. Geburtstag des »ewigen« Präsidenten begangen wird, soll die wirtschaftliche Stabilisierung, der »große Sprung ins neue Zeitalter« gelingen. Unter der Führung Kim Jong Ils ist die Industrie der KDVR fast zum Erliegen gekommen, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln ist nach wie vor dramatisch. Missernten und Unwetterkatastrophen verschärften die Lage. Auch in diesem Jahr haben Überschwemmungen einen großen Teil der Ernte vernichtet. Erste Reformversuche, eine Währungsreform und die Zulassung kleinerer Bauernmärkte, haben nicht den erhofften Erfolg gebracht. Zwecks Rettung setzte Kim auf die Armee: Geboren wurde die »Songun-Politik«, die Einflussnahme des Militärs auf alle gesellschaftlichen Bereiche und die Forcierung der Rüstungsindustrie. Das hat das Land zwar zur Atommacht gemacht, die Wirtschaft aber weiter zerrüttet. Die Armee wurde zur »Hauptformation der Revolution« erklärt. Wer eines Tages die Nachfolge von »General« Kim antreten wird, ist auf die Gnade der Militärführung angewiesen.
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