Eine Raststätte als Streikposten
Mitropa-Nachfolgerfirma beutet Frauen aus
Am Rande der A 8 zwischen Ulm und Richtung München bot sich am frühen Samstagmorgen ein ungewohntes Bild: eine Raststätte als Streikposten. Die Beschäftigten der Nacht- und Frühschicht wehrten sich gegen Tarifflucht und Lohndumping. Zu dem mehrstündigen Warnstreik aufgerufen hatte die Gewerkschaft Nahrung-Genuss- Gaststätten (NGG).
Hintergrund des Konflikts sind die seit Monaten stockenden Tarifverhandlungen zwischen der NGG und der Pächterin der Raststätte, der »Select Services Partner Restauration GmbH« (SSP) mit Sitz in Eschborn bei Frankfurt (Main). Die Geduld der zu 95 Prozent gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten ist zu Ende, nachdem sie seit Jahren vergeblich auf eine Lohnerhöhung gewartet hatten. Der Betrieb ist nicht mehr tarifgebunden. In den letzten Monaten sind Neueinstellungen nur auf der Grundlage eines Stundenlohns von sieben Euro und einer Monats-Arbeitszeit von 130 Stunden erfolgt.
Dem Streikaufruf seien bis auf einzelne Führungskräfte alle Beschäftigten gefolgt, erklärte der Augsburger NGG-Sekretär Tim Lubecki. Auf die Forderung der NGG, für die in der Tankstelle, Raststätte und dem angrenzenden Hotel an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr tätigen Beschäftigten einen umfassenden und branchenüblichen Haustarifvertrag abzuschließen, habe die SSP bisher lediglich mit dem Angebot einer Einmalzahlung von 150 Euro netto reagiert, beklagt Lubecki. Die NGG verlangt als absolute Untergrenze für Neueinstellungen den Satz von 8,50 Euro in der Stunde und orientiert sich damit an der aktuellen Mindestlohnforderung der DGB-Gewerkschaften. Für die langjährig Beschäftigten wird eine deutliche Lohnanhebung gefordert.
Die Streikenden, überwiegend Frauen, darunter viele Alleinerziehende und Nicht-Deutsche, postierten sich ab sechs Uhr mit Transparenten und Trillerpfeifen auf dem Gelände und verteilten Infoblätter, Brezeln und Äpfel an die Reisenden. Da an diesem Vormittag bereits viele Menschen auf dem Weg zum Münchener Oktoberfest waren, machte der Vergleich zwischen den dürftigen Stundenlöhnen für neu Eingestellte an der Raststätte und dem aktuellen Preis für eine Maß Bier auf der »Wiesn« in Höhe von 8,90 Euro bei etlichen Reisenden Eindruck. »Die meisten zeigten Verständnis und Solidarität«, berichtete Lubecki auf ND-Anfrage: »Jeder kennt heutzutage jemanden, der ähnliche Probleme und Arbeitsbedingungen hat.«
Für die Streikenden war es ausnahmslos der erste Arbeitskampf in ihrem Leben. »Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich mich eines Tages vor das Tor stelle«, erklärte eine 55-Jährige Angestellte. Für zusätzliche Wut und Entschlossenheit dürften auch die in den letzten Jahren kontinuierlich gesteigerten Arbeitsanforderungen und zunehmende Leistungsverdichtung gesorgt haben. Gewerkschafter aus dem DGB und aus anderen Betrieben im Organisationsbereich der NGG solidarisierten sich an Ort und Stelle mit dem Arbeitskampf. Ab Montag plant die NGG eine Welle von Warnstreiks in bayerischen Molkereien.
Die bestreikte Select Services Partner Restauration GmbH ist auch ein Produkt der schleichenden Bahnprivatisierung und speziell der Zerschlagung und Privatisierung der früheren Mitropa AG, die ursprünglich in der ehemaligen DDR für die Bewirtschaftung von Fernzügen, Ausflugsschiffen, Eisenbahnfähren und Autobahnraststätten zuständig war. 2004 verkaufte die Deutsche Bahn die verbliebenen Unternehmensteile der Mitropa AG an die Compass Group Deutschland mit Sitz in Eschborn. Später wurde die SSP aus dem Compass-Konzern ausgegliedert.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.