Die Zeichen stehen auf baldige Befreiung
Die Rettungsarbeiten für Chiles Bergleute kommen gut voran
Die Hoffnung wächst mit jeder Meldung. Stündlich senden die Nachrichtenagenturen die Zahl der Meter, die den Bohrkopf des T-130 noch von den 33 eingeschlossenen Bergleuten trennen. Chiles Bergbauminister Laurence Golborne hat angekündigt, dass dann die Fachleute prüfen müssen, ob die Wand des bis dahin 630 Meter tiefen Bohrlochs stabil genug ist, um die Rettungskapsel hinabzulassen. »Das ist eine rein technische Entscheidung«, sagte Golborne.
Sollte das möglich sein, werde die Bergung zwei bis drei Tage dauern. Muss die Bohrlochwand stabilisiert werden, wird mit weiteren acht Tagen Wartezeit gerechnet. Die Bergmänner, die nun seit über zwei Monaten unter Tage festsitzen, werden dann weiter warten müssen. Ebenso wie über Tage die Familienangehörigen und Freunde, die sich in dem Zeltdorf Campamento Esperanza eingerichtet haben, und die 2000 Journalisten aus aller Welt, die sich für den Höhepunkt der Bergungsaktion angesagt haben.
Während die Kumpel in 700 Meter Tiefe bereits damit beginnen, ihre Sachen zu packen, laufen an der Oberfläche die Vorbereitungen auf Hochtouren. Am Donnerstag wurde der Bergungsernstfall geprobt. An der Übung nahmen auch die fünf Hubschrauber teil, die von dem eigens angelegten Start- und Landeplatz ins nahe Krankenhaus von Copiapó fliegen. Hierher sollen die Geretteten nach und nach gebracht werden, nachdem sie im Campamento Esperanza bei der Mine eine erste ärztliche Untersuchung absolviert haben.
Die Reihenfolge der Bergung der Kumpel wurde auch schon festgelegt. Zuerst soll ein physisch und psychisch stabiler Bergmann in die Rettungskapsel steigen, damit eventuelle Schwierigkeiten beim Hochziehen der 2,70 Meter langen und nur 44 Zentimeter starken Dahlbusch-Bombe nicht zu einer Kurzschlussreaktion führen.
Der Zeitplan wird auch diesmal so ausgelegt sein, dass Staatspräsident Sebastián Piñera im schon legendären roten Anorak den ersten geretteten Bergmann persönlich begrüßen wird. Auch die Nachricht, dass die 33 noch am Leben sind und sich an einen sicheren Ort in der Tiefe retten konnten, war am 22. August stundenlang zurückgehalten worden. Erst als der aus Santiago eingeflogene Piñera am Eingang zur Mine eintraf, hielt er den kleinen Zettel mit den handschriftlichen Worten »Wir 33 sind wohlauf im Schutzraum« hoch.
Der laute Jubelschrei und das hörbare Aufatmen hallten zu Recht durch ganz Chile. Sie übertönen seither aber auch die bis dahin aufgekommene Kritik an den Sicherheits- und Arbeitsschutzmaßnahmen in den chilenischen Bergwerken.
Die ständigen Meldungen und Ansagen von Bergbauminister Golborne täuschen zudem darüber hinweg, dass die Regierung in Sachen Bergwerkssicherheit in den letzten zwei Monaten nichts bewegt hat. Harsche Kritik kommt deshalb von der Internationalen Föderation der Chemie-, Energie-, Bergbau- und Fabrikarbeitergewerkschaften (ICEM), die nach eigenen Angaben 467 Industriegewerkschaften in 132 Ländern vertritt. In einem Brief vom 4. Oktober an Bergbauminister Golborne liest die ICEM – so die englische Abkürzung – der Regierung die Leviten: »Die in Chile angewandten Methoden sind veraltet und schwerfällig. Die ICEM ist davon überzeugt, dass jede auf die Rettung der 33 Arbeiter der Mine San José folgende Untersuchung das bestätigen wird.«
Die Botschaft der ICEM ist eindeutig: »Eine grundlegende Überholung der Arbeitsplatzsicherheit und der Gesundheitsverfahren ist in Chile dringend notwendig.« Dazu fordert die ICEM die chilenische Regierung auf, endlich die seit 1995 existierende ILO-Konvention 176 über Sicherheit und Gesundheit im Bergbau zu ratifizieren und die sich oftmals überschneidenden Zuständigkeiten für Sicherheit und Gesundheit im chilenischen Bergbau in einer einzigen Behörde zusammenzufassen.
Für Minister Golborne haben Arbeitsplätze jedoch Vorrang. Chile als einer der am stärksten in den Weltmarkt integrierten Staaten Lateinamerikas verdient sieben von zehn Export-Dollar mit dem Verkauf von Rohstoffen wie Kupfer. Chile ist der weltweit größte Lieferant von Kupfer.
Sollte Chile in den kommenden Jahren alle seine Bergbauvorhaben umsetzen, würden nach heutiger Schätzung eine Summe von 50 Milliarden Dollar investiert und rund 23 000 Arbeitskräfte benötigt werden.
Präsident Sebastián Piñera scheint jedoch von den bisher erfolgreich laufenden Rettungsbemühungen nicht sonderlich zu profitieren. Zwar stieg die Zustimmung der Bevölkerung nach einer Umfrage des renommierten Meinungsforschungsinstituts CERC im September auf 57 Prozent. Der Wert lag aber nur drei Prozent über dem der vorangegangenen Erhebung.
Wenn die 33 Kumpel in den nächsten Tagen hoffentlich geborgen sind, werden wieder Jubelschreie und ein Aufatmen durch ganz Chile gehen. Es wäre den 33 zu gönnen. Nach der Freude und Erleichterung muss Chile jedoch auch international zur Ratifizierung der ILO-Konvention 176 aufgefordert werden. Sonst wäre das nächste Grubenunglück tatsächlich nur eine Frage der Zeit.
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