- Kommentare
- Gastkolumne
An den Nöten eiskalt vorbeiregiert
Man könnte es für einen schlechten Scherz halten, wäre es nicht bitterer Ernst. Fünf Euro sind es nun also, die die Mächtigen den Armen zugestehen wollen. Ein »Heiermann«, wie der Volksmund den Fünfer nennt. Wer bis heute geglaubt hatte, schlimmer könnte es beim Kleinrechnen des Regelsatzes nicht mehr kommen, ist eines besseren belehrt worden.
War es bisher das unterste Einkommensfünftel, das als Vergleichsgruppe für die Stütze diente, sind es nun nur noch die untersten 15 Prozent. Waren bisher bereits Schmuck, Pauschalreisen, Campingausrüstung und Fotokamera aus der Liste der Ausgaben gestrichen, die man auch den Ärmsten zugestehen mochte, werden nun auch noch Schnittblumen, die Currywurst am Imbisstand, die Gartenschere, Kosten für chemische Reinigung, die zwei Zigaretten am Tag und das Bier am Wochenende weggenommen.
Die Botschaft ist klar: Arme, bleibt am Besten zu Hause. An unserer Gesellschaft braucht ihr jedenfalls nicht teilhaben. Selten wurde ein Bundesverfassungsgerichtsurteil so offensichtlich und dreist zugleich unterlaufen. Statt sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie auch für Hartz IV-Empfänger Teilhabe wenigstens auf allerbescheidenstem Niveau gesichert werden kann, übt sich die Bundesregierung darin, auch noch die letzten Reste an Lebensqualität aus dem Alltag der Betroffenen zu vertreiben.
Transparent sei die Rechnung, freut sich die Regierung. Das ist wohl wahr. Und jeder, der es bisher nicht glaubte, kann es nun nachrechnen: Hartz IV ist Armut. Von Hartz IV leben zu müssen, heißt »abgehängt« und ausgegrenzt zu sein, nicht dazuzugehören. Und zwar nicht abstrakt und theoretisch, sondern ganz handfest und konkret. Im Regelsatz finden sich monatlich 6,93 Euro etwa für Windeln, 29 Cent für einen Sprachkurs, 1,10 Euro für Sportartikel oder 2,14 Euro für den Theaterbesuch. Jugendliche bekommen ganze 70 Euro im Jahr für Schuhe zugestanden, ein 14-jähriges Mädchen bekommt 2,87 Euro im Monat für den Friseur, zum Ausgehen mit ihren Freunden stehen ihr ganze 4,78 Euro zur Verfügung.
Statt zu schauen, was ein Kind braucht, versteckt Politik sich hinter der Statistik. Wenn Politiker solche Zahlen aber nicht hinterfragen und sie nicht auf ihre Wirklichkeitsnähe hin überprüfen, könnte man Politik auch ganz den Statistikern überlassen. Nicht besser wird es, wenn die Arbeitsministerin dann auch noch darauf verweist, dass ein höherer Regelsatz gegenüber den Arbeitenden mit kleinem Einkommen kaum zu rechtfertigen sei. Ein letzter Versuch, wenn alle anderen Argumente zerbröseln: Spielen wir doch die, die es schwer haben, gegen die aus, die noch ärmer dran sind.
Karlsruhe hat aber eine klare Sprache gesprochen: Es geht um das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Leben. Es geht um das Existenzminimum und ein Mindestmaß an Teilhabe, das jedem Menschen in unserem Land zusteht. Bei einer sach- und realitätsgerechten Berechnung würde das Bundesarbeitsministerium nicht auf 364 Euro sondern auf einen Erwachsenenregelsatz von über 400 Euro kommen. So aber wird an den Nöten der Menschen und insbesondere der Kinder in unserem Land eiskalt vorbeiregiert. Die Pläne der Regierung werden in dieser Form kaum Bestand vor dem Bundesverfassungsgericht haben.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.