Werbung

Teure Atomforschung

Rückbau der kerntechnischen Anlagen kostet den Bund Milliarden

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Bund betreibt deutschlandweit mehrere Forschungsreaktoren. Viele Testanlagen müssen in den kommenden Jahren rückgebaut werden – unter immensen Kosten. Zudem stellt der Abriss die Ingenieure vor enorme technische Herausforderungen.

Die Kosten für den Rückbau nuklearer Forschungsanlagen laufen aus dem Ruder. Alleine der Abriss eines kleinen 13 Megawatt-Hochtemperatur-Reaktors (HTR) im Forschungszentrum Jülich verschlingt nach aktuellen Kalkulationen mehr als 600 Millionen Euro Steuergelder – doppelt so viel wie ursprünglich berechnet. Elf weitere Kernforschungseinrichtungen müssen in den kommenden Jahren ebenfalls für viel Geld rückgebaut werden, hat jetzt die Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm ermittelt. Anders als bei kommerziellen Kernkraftwerken, deren Abriss die Betreiber zahlen müssen, ist bei den Forschungsanlagen der Staat in der Pflicht.

Der HTR in Jülich war von 1967 bis 1988 als Prototyp für einen größeren Reaktor – den Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR) in Hamm-Uentrop – in Betrieb. Ursprünglich waren für die Stilllegung 399 Millionen Euro eingeplant, jetzt spricht die die Bundesregierung von 612 Millionen, wie der Westdeutsche Rundfunk kürzlich berichtete. Der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen müssen sich hier die Kosten im Verhältnis 70 zu 30 teilen.

Technisch stellt der Abriss des »kleinen« HTR die Ingenieure zudem vor riesige Herausforderungen: Der rund 2100 Tonnen schwere Reaktordruckbehälter muss mit sieben Kränen und einem Luftkissenschlitten bewegt werden, damit das nach einem Störfall im Jahr 1978 mit Strontium verseuchte Erdreich abgetragen werden kann. Anschließend wird der kontaminierte Behälter von Robotern zerlegt, die Komponenten sollen später in ein noch nicht existierendes Endlager gebracht werden.

Gerade erst begonnen hat der Rückbau einer Versuchswiederaufarbeitungsanlage (WAA) im Forschungszentrum Karlsruhe. Sie war 1990 nach 19 Jahren Betriebszeit stillgelegt worden, nachdem sich der Bau einer »großen« WAA weder in Gorleben noch in Wackersdorf politisch durchsetzen ließ. Nach Angaben der Bundesregierung sind seitdem 638 Millionen Euro aus dem Forschungsetat abgeflossen, die kommenden Ausgaben werden mit 675 Millionen Euro beziffert.

Wartung und Abriss eines Mehrzweckforschungsreaktors in Karlsruhe schlugen bislang mit 189 Millionen Euro zu Buche. Für die ebenfalls dort als Prototyp für den »Schnellen Brüter« gebaute – und 1991 stillgelegte – »Kompakte Natriumgekühlte Kernenergieanlage« wurden bereits 189 Millionen Euro fällig. Mittel für den Rückbau so genannter »heißer Zellen« hat die Regierung bisher noch gar nicht bewilligt.

Die Abschaltung und der Abriss weiterer Forschungsanlagen in Jülich sowie im Forschungszentrum GKSS bei Geesthacht verschlangen und verschlingen ebenfalls hunderte Millionen Euro. In einer Drucksache vom 26. Juli beziffert die Bundesregierung die Summe der für die Stilllegung und den Rückbau kerntechnischer Anlagen notwendigen Ausgaben auf rund 10,6 Milliarden Euro – nur für den Bund. Umweltschützer vermuten, dass dieser Betrag noch weiter steigen wird.

Auch der »große«, 1989 nach nur knapp 8000 Betriebsstunden und etlichen Pannen stillgelegte THTR in Hamm wurde und wird ausschließlich aus öffentlichen Mitteln finanziert. Nach Angaben der Bürgerinitiative haben alleine Forschung und Bau jeweils mehr als zwei Milliarden Euro verschlungen. Die Stilllegung und der »sichere Einschluss« kosteten noch einmal rund 400 Millionen Euro. Und für den Abriss, der 2030 beginnen und rund 15 Jahre dauern soll, werden weitere hunderte Millionen Euro fällig.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.