925 Millionen werden nicht satt
Welthungerindex 2010: 29 Länder von großer Nahrungsmittelknappheit betroffen
Berlin/Washington (epd/ND). Knapp ein Jahr nach Amtsantritt der Bundesregierung hat die Deutsche Welthungerhilfe eine »ernüchternde« Zwischenbilanz der Entwicklungspolitik gezogen. »Kurzfristige außenwirtschaftliche Interessen« dürften nicht wichtiger sein als Investitionen in ländliche Entwicklung und Ernährungssicherheit, kritisierte die Präsidentin der Hilfsorganisation, Bärbel Dieckmann, am Montag in Berlin. Anlass war die Veröffentlichung des Welthunger-Index 2010 zum Welternährungstag am Samstag.
Trotz spürbarer Fortschritte in Südasien und Lateinamerika hungern demnach immer noch mehr Menschen als vor 20 Jahren. Seit 1990 stieg die Zahl der Hungernden um 75 auf 925 Millionen. Besonders gravierend habe sich die Lage in der Demokratischen Republik Kongo, auf den Komoren sowie in Burundi und Nordkorea verschlechtert, hieß es im Index, der von der Welthungerhilfe und dem Washingtoner Forschungsinstitut für Ernährungspolitik IFRI zum fünften Mal erstellt wurde. Insgesamt 29 Ländern der Erde bescheinigt der Index eine »sehr ernste« oder gar »gravierende« Hungersituation. Die Weltgemeinschaft hatte sich 2000 in den sogenannten »Millenniumszielen« darauf verständigt, den Anteil der Hungernden bis 2015 im Vergleich zu 1990 zu halbieren.
Dieckmann kritisierte, dass Vereinbarungen des Koalitionsvertrags bislang nicht umgesetzt worden seien. Auch setze sich die Kürzungspolitik fort, sagte die langjährige SPD-Politikerin und Bonner Oberbürgermeisterin. Bereits unter der Großen Koalition seien die Mittel für ländliche Entwicklung 2009 im Vergleich zum Vorjahr um rund zehn Prozent gekürzt worden. In diesem Jahr habe die Regierung die Zuschüsse für das Welternährungsprogramm um über die Hälfte auf 59 Millionen Euro und die Ausgaben für humanitäre Hilfe um 20 Prozent auf knapp 77 Millionen Euro gekürzt.
Auf dem Millenniumsgipfel in New York im September habe Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betont, dass nicht die Höhe der finanziellen Mittel in der Entwicklungszusammenarbeit wichtig sei, sondern vielmehr deren Wirkung. »Nach fast 50 Jahren praktischer Erfahrungen in den Ländern des Südens wissen wir, dass weniger nicht mehr ist«, sagte Dieckmann.
Der Welthunger-Index erfasst nicht nur die unzureichende Deckung des Kalorienbedarfs, sondern bezieht auch weitere Faktoren von Unterernährung mit ein, wie etwa Gewicht und Sterblichkeit von Kleinkindern. Eines der zentralen diesjährigen Ergebnisse ist die »Vererblichkeit« von Hunger: Frauen, die selbst als Kinder an Unterernährung litten, haben aufgrund einer zu geringen Körpergröße ein hohes Risiko, wiederum untergewichtige Kinder zur Welt zu bringen. Schon jetzt gelten ein Drittel aller fünfjährigen Kinder in den Entwicklungsländern als zu klein für ihr Alter, fast ein Viertel als untergewichtig. Ein Zehntel leide sogar an starkem Untergewicht.
Die größten Fortschritte bei der Hungerbekämpfung machten laut Index Malaysia, Kuwait, die Türkei und Mexiko. Der einzige afrikanische Staat südlich der Sahara unter den besten Zehn sei Ghana.
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