Obama und die nackten Tatsachen
Demokraten drohen bei US-Kongresswahlen herbe Verluste – auch wegen des Präsidenten
Aufmerksamkeit finden, das ist eine der ersten Pflichten im Wahlkampf, sagte sich am Wochenende auch ein 24-jähriger New Yorker und legte bei einer Veranstaltung mit Barack Obama in Philadelphia einen Nacktauftritt hin. Wenn man dann auch noch gewinnen kann – eine Million Dollar hatte der Milliardär Alki David für den ausgelobt, der sich vor dem Präsidenten entblößt und dabei den Schriftzug seiner Internetseite auf der Brust präsentiert –, dann umso besser. Aber wie nackt ist inzwischen eigentlich der Kaiser? Der kämpfte auch am Montag schon wieder und beschwor seine Anhänger bei einer Wahlveranstaltung im Haus des ehemaligen Basketball-Stars Alonzo Mourning, sich trotz schlechter Umfragewerte weiter für einen Erfolg der Demokratischen Partei bei den anstehenden Kongresswahlen zu engagieren. Anfang November entscheiden die US-amerikanischen Wähler über die Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses und bestimmen ein Drittel der 100 Sitze im Senat neu.
Obama warnte jetzt davor, darauf zu vertrauen, dass die oppositionellen Republikaner im Falle eines Wahlsiegs mit ihm zusammenarbeiten würden. Auch der These, dass sie sich mit einer eigenen Kongressmehrheit nicht mehr aus der Verantwortung stehlen und so ein angenehmerer Gegner als bislang sein könnten, kann der Präsident nicht viel abgewinnen. So ticke er nicht, »weil ich darüber nachdenke, wie ich das Land voranbringen kann«. Schließlich wolle er beispielsweise dafür sorgen, dass die USA das beste Erziehungssystem der Welt haben, und Technologien zur umweltfreundlichen Energieerzeugung fördern. Das Weiße Haus jedenfalls wird künftig von zwei Solaranlagen geschmückt, um die Bürger dazu zu animieren, selbst auf Sonnenenergie zu setzen.
Ob Obama damit viele Wähler gewinnen kann, bezweifeln Beobachter. Die Demoskopen sagen den Konservativen bei den sogenannten Zwischenwahlen zum Parlament erhebliche Zugewinne voraus. Vor allem im Repräsentantenhaus droht den Demokraten der Verlust ihrer Mehrheit. Zumal Lobbyisten immer stärker Einfluss auf den Wahlkampf nehmen, nachdem der Oberste Gerichtshof Beschränkungen bei Spendengeldern aufgehoben hat. Laut »Washington Post« flossen bisher rund 80 Millionen Dollar (58,4 Mio Euro) in die Wahlkampfkassen, gleich fünf Mal so viel wie noch 2006. Und die Republikaner fassen dabei sieben bis acht Mal mehr ab als die Präsidentenpartei. Für Anthony Corrado vom Washingtoner Brookings-Institut besitzen die »organisierten Gruppen« hinter den Kulissen, sprich die Seilschaften aus Industrie und Finanzwelt, längst wahlentscheidende Macht.
Zugleich haben die Demokraten mit einer mangelnden Mobilisierung an der Parteibasis zu kämpfen. »Die Leute sind derzeit frustriert«, meinte der Präsident unlängst in aller Offenheit. »Sie sind ungeduldig, weil der politische Wandel so langsam vorangeht.« Vor allem scheint der einstige Hoffnungsträger selbst inzwischen zur Belastung geworden, kreiden doch immer mehr Bürger ihm die schlechte wirtschaftliche Lage und die fehlenden Jobs an. Eine Mehrheit im Lande ist heute mit seiner Amtsführung unzufrieden, obwohl weder der gewaltige Schuldenberg seines Vorgängers noch die globale Finanzkrise auf seine Kappe gehen.
Hinzu kommt das diffuse Gefühl allzu vieler Wähler in einem zum Teil tief religiösen Land, der Sohn eines Kenianers und einer US-Bürgerin sei keiner von ihnen. In Umfragen bezweifelt ein Viertel der Befragten, dass er in »Gottes eigenem Land« geboren wurde, nur ein Drittel glaubt, dass Obama Christ sei, und für jeden Zweiten ist er ein »Sozialist« – in den USA ein politisches Todesurteil. Der eloquente Intellektuelle werde häufig als »Vertreter der Elite« gesehen und löse damit angesichts der derzeitigen Politikverdrossenheit regelrechte Abwehrreflexe aus, analysiert William Galston vom Brookings-Institut. Ob er nun zu neuen Kleidern greift?
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