Die Frist läuft
Allen Simbabwern, die bis Ende des Jahres keinen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus für Südafrika erlangen, droht 2011 die Abschiebung in das Krisenland
Die drei geordneten Menschenschlangen, die sich vor dem Gebäude des Konsulats von Simbabwe gebildet haben, stehen im krassen Gegensatz zu der um sie herum turbulenten Geschäftigkeit der Innenstadt Johannesburgs. Die Simbabwer, die hier in Südafrika leben, kennen diese Ecke der Stadt gut. Aus einem Innenhof direkt neben dem Konsulat fahren täglich mehrmals vollbepackte Busse in das 800 Kilometer entfernte Simbabwe. Mit in den Heimaturlaub nehmen sie alles, was in der heruntergekommenen Wirtschaft Simbabwes nicht mehr zu erwerben ist oder was die Menschen sich dort nicht mehr leisten können: Öl, Zucker, Mehl, Decken, Küchengerümpel und anderes. Aber die circa 500 Leute, die heute auf dem breiten Bürgersteig Schlange stehen, wollen nicht nach Simbabwe zurück. Im Gegenteil: Sie wollen ihre Bleibe in Südafrika mit dem Erwerb einer legalen Aufenthaltsgenehmigung sicher machen.
Arbeitslosigkeit zwang viele ins Exil
Seit April 2009 durften die Simbabwer sich ohne Papiere für einen Zeitraum von sechs Monaten im Land aufhalten. Diese Ausnahmeregelung gab ihnen das Recht zu arbeiten, Schulen zu besuchen und gewährte ihnen Zugang zu den Krankenhäusern. Die Regierung in Pretoria hatte die Entscheidung getroffen, nach dem das Nachbarland wegen der Landpolitik und der Unterdrückung der politischen Opposition durch Robert Mugabes Regierung im Chaos versank. Hunger in der einstigen Weizenkammer des südlichen Afrikas, Arbeitslosigkeit und politische Verfolgung zwangen viele ins Exil, vor allem nach Südafrika.
Am 2. September dieses Jahres traf die Regierung Südafrikas jedoch überraschend die Entscheidung, die Ausnahmeregelung zum 31. Dezember aufzuheben. Die Lage in Simbabwe habe sich stabilisiert, begründete der Regierungssprecher Themba Maseko vor der Presse den Schritt.
Seit dem 20. September dürfen die Simbabwer um eine Aufenthaltsgenehmigung nachsuchen. Die zwischen 1,5 und 3 Millionen in Südafrika lebenden Migranten haben demnach gut drei Monate Zeit. Studenten und diejenige, die einen Arbeitsplatz vorweisen können oder selbstständig arbeiten, werden im Land bleiben dürfen. »Nach dem 31. Dezember werden die Simbabwer, die keine Aufenthaltsgenehmigung haben, wie alle anderen Ausländer behandelt und ihre Abschiebung wird beginnen«, sagte Maseko weiter.
Viele Menschenrechtsorganisationen sind besorgt. Die simbabwische Nichtregierungsorganisation (NRO) »Crisis Coalition Zimbabwe« teilt nicht die Ansicht der südafrikanischen Regierung, dass sich die Lage in ihrem Land verbessert habe. Die Abschiebungen könnten mit einem erneuten Aufflammen der politischen Gewalt in Simbabwe zusammentreffen, wo nächstes Jahr Wahlen stattfinden könnten. Außerdem seien die simbabwischen Behörden nicht in der Lage, so schnell so viele Pässe auszuhändigen. Dies ist aber die Voraussetzung für die Beantragung der Aufenthaltsgenehmigung in Südafrika.
Mit Papieren würde alles leichter
Vor dem Konsulat von Simbabwe in Johannesburg stehen sich deshalb die Menschen seit Tagen schon die Beine in den Bauch. Viele haben keine Pässe. Das Konsulat ist der einzige Ort im Land, wo Simbabwer ihre Papiere beantragen können. Leute kommen von überall her. Die angestrengten und müden Gesichter am vordersten Ende der Schlangen verraten die lange Wartezeit: »Ich bin seit gestern Nachmittag da«, sagt eine Frau mittleren Alters, »geschlafen haben wir auf dem Bürgersteig, aber Angst hatten wir nicht, wir sind so viele«, lächelt sie. In der Schlange für die Frauen kommt man schneller voran. Noch schneller lassen die Sicherheitskräfte die Menschen mit Babys und Kleinkindern in das Gebäude rein. Dies ist die einzig erkennbare Rücksichtnahme auf die Situation der Menschen.
Am Ende der Schlange ist eine Gruppe von jungen Männern guten Mutes. Ihre Chefs haben ihnen frei gegeben, damit sie hier heute ihre Papiere beantragen können. »Sie wollen uns behalten, deswegen wollen sie, dass unser Aufenthalt legal wird.« Wie viele Simbabwer in Südafrika arbeiten sie als Hausangestellte, im Gaststättengewerbe, in Läden oder auf dem Bau. Auf dem Land sind sie oft als Saisonarbeiter bei den Ernten eingesetzt. »Auch mit der Polizei wird es einfacher«, sagt Raymond Ndlovu. »Jetzt, wenn sie uns aufhalten, können wir nichts vorlegen und deswegen müssen wir sie oft schmieren, damit sie uns in Ruhe lassen.«
Ein paar Straßen weiter vor der Hauptdienststelle der Innenbehörde warten circa 300 Menschen. Es sind die Simbabwer, die schon im Besitz eines Passes sind und die nun auf den Erhalt der Aufenthaltsgenehmigung warten. Die Stimmung ist viel angespannter, die Wartezeit noch länger und die Unsicherheit größer. Die südafrikanische Behörde hat lediglich einen Zettel verteilt, worauf die Liste der erforderlichen Dokumente vermerkt ist.
Die Blumenverkäuferin Julia erträgt die Wartezeit mit Geduld. Hier stehen die Menschen der Entscheidung der südafrikanischen Regierung positiv gegenüber. Sie erwarten eine Verbesserung ihrer Lage. Mit einer Aufenthaltsgenehmigung wird Julia nicht mehr alle sechs Monate an die Grenze fahren müssen, um einen neuen Stempel in ihren Pass zu bekommen. Ndlovu fügt hinzu: »Wenn wir die Papiere haben, wird es auch leichter, Jobs zu finden.«
Viele glauben fest daran, auch als Arbeitslose einen Aufenthaltsstatus zu bekommen. Andere, die als selbstständige Straßenverkäufer arbeiten, sorgen sich nicht darum. Sie müssen lediglich ihre Tätigkeit bei der Polizei registrieren lassen, sagen sie. So steht es auf den von der Behörde ausgeteilten Zetteln. Viele Beobachter sind dabei weniger optimistisch.
Die südafrikanische Regierung hat versprochen, mehr Dienststellen zu öffnen, damit alles glatt läuft, aber eine Verlängerung der Frist bis ins neue Jahr, was die Nichtregierungsorganisationen (NRO) fordern, hat Innenministerin Nkosazana Dlamini-Zuma strikt abgelehnt. Nach Angaben der Behörde wurden 10 287 Aufenthaltsgenehmigungen beantragt, 2126 erteilt und 174 abgelehnt
Zwei Männer streifen entlang der Massen. »Es stinkt hier nach Simbabwern«, provozieren sie auf Zulu, der Sprache, die der größte Teil der Einwohner Johannesburgs versteht. »Hier sind wir weniger als nichts«, regt sich eine Frau auf. Viele NRO stehen wegen der verbreiteten fremdenfeindlichen Stimmung im Land dem Vorgehen der Regierung kritisch gegenüber.
Im neuen Jahr könnte die Polizeisuche nach Simbabwern ohne Aufenthaltsstatus zu neuen fremdenfeindlichen Attacke führen, meint die NRO Passop gegenüber der Presse. Im Mai 2008 hatte die Ausländerjagd an mehreren Orte im Land das Leben von rund 60 Menschen gekostet, mehrere Hunderte wurden verletzt.
Nach Angaben des Afrobarometers stehen 83 Prozent der Südafrikaner den Ausländern misstrauisch gegenüber. Viele klagen, dass die afrikanischen Migranten ihnen die Jobs und die Häuser wegnehmen. Südafrika ist das Land mit den meisten Flüchtlingen und Asylbewerbern der Welt. Die Mehrheit kommt aus den Nachbarländern und aus den Krisengebieten Afrikas. Die UNHRC schätzte ihre Zahl im Januar 2010 auf 320 000 Flüchtlinge und Asylbewerber.
Die frühere Regierung Thabo Mbekis hatte die Grenzkontrollen ab 2003 gelockert. Aber seit Mai hat die Regierung erneut Militär an die Grenzen entsandt. Auch überarbeitet die Regierung die Migrationsgesetzgebung, um Asylbewerber von Wirtschaftsmigranten zu unterscheiden. Die Simbabwer sind die ersten, danach werden alle anderen neuen Regelungen unterworfen.
Wahlkampf mit Migrationspolitik
Nächstes Jahr sind Gemeindewahlen. Und die Regierung muss zeigen, dass sie die Sorgen der Bevölkerung ernst nimmt. Das Ausländer-Thema kann auch dabei helfen, das miserable Abschneiden vieler Gemeindeverwaltungen vergessen zu lassen.
Leslie steht vor der Innenbehörde in ihrer makellosen Schuluniform. Sie ist um fünf Uhr morgens gekommen. Seit einem Jahr ist sie im Land. In zwei Wochen schreibt sie Abitur. Und dafür braucht sie eine gültige Aufenthaltsgenehmigung. Für sie ist die neue Regelung der südafrikanischen Regierung eine Chance – doch nur dann, wenn das Dokument rechtzeitig ausgestellt wird.
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