Algier warnt vor Flächenbrand
Islamistische Geiselnehmer stellten ihre Bedingungen
Die sechs Mitarbeiter französischer Uranförderfirmen und die Ehefrau eines der Entführten werden derzeit im Norden Malis gefangen gehalten. Es handelt sich um fünf Franzosen, einen Togoer und einen Madagassen. Die Entführer verlangen sieben Millionen Euro, die Freilassung von Gesinnungsgenossen aus französischen und mauretanischen Gefängnissen und die Aufhebung des Burka-Verbots in Frankreich. Zudem soll die Regierung in Bamako keine militärischen Aktionen auf malischem Territorium mehr zulassen.
Mauretanische und französische Truppen sind seit Sommer bereits zweimal auf malisches Gebiet vorgestoßen, um AQMI-Gruppen zu bekämpfen. Beide Aktionen gingen desaströs aus: Die erste Operation endete nicht mit der Befreiung einer französischen Geisel, sondern mit deren Ermordung durch die Entführer. Beim zweiten Angriff, direkt gegen AQMI-Befehlshaber Abou Zeid gerichtet, wurden Mitte September neben zwölf Zeid-Anhängern auch 15 mauretanische Soldaten getötet.
Jetzt sind wieder französische Aufklärungsflugzeuge im Einsatz. Offiziell hat Paris noch nicht auf die Forderungen der Entführer reagiert. Beobachter schließen aber nicht aus, dass Frankreichs Regierung wie schon in früheren Fällen nachgeben wird. Auch die Zahlung von Lösegeld wird nicht ausgeschlossen.
Derartige Alleingänge werden vor allem von Algerien kritisiert, das sich vergeblich um ein koordiniertes Vorgehen der betroffenen Staaten bemüht. Das Internationale Institut für Terrorismusforschung in Algier hat zu Wochenbeginn die Summe der bisher geflossenen Lösegelder auf 100 Millionen Euro beziffert. »Rechnet man dazu die kolossalen Einnahmen aus dem Schmuggelgeschäft, dürfte die AQMI mittlerweile über ein größeres Budget verfügen als alle Sahelstaaten zusammen, mit Ausnahme Algeriens«, sagte dessen Direktor Lies Boukraa. Die Region sei zu einer wichtigen Drehscheibe für lateinamerikanische Drogenkartelle geworden. Jährlich würden allein 50 Tonnen Heroin aus Kolumbien und Venezuela über Mauretanien, Mali, Tschad und Darfour nach Europa gebracht. Der illegale Handel mit Drogen, Waffen, Menschen und Zigaretten sei zu einem blühenden Wirtschaftssektor geworden, der die Ökonomien der Sahelländer gefährlich unterwandert hat.
In einer Gegend, in der 65 Prozent der Bevölkerung mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, ist die Rekrutierung Ortskundiger kein Problem. Einer der letzten gewinnbringenden Wirtschaftszweige, der Tourismus, ist fast völlig zum Erliegen gekommen. »Wenn nichts getan wird, übernimmt die organisierte Kriminalität früher oder später die Kontrolle über Wirtschaft und Politik im Sahel«, warnte Boukraa. Nutznießer seien nicht nur die islamistischen Terrorgruppen, sondern auch ausländische Kräfte. In der an Bodenschätzen – Erdöl, Erdgas, Uran und Gold – reichen Gegend kämpfen Frankreich, die USA und China um den Zugang zu Rohstoffquellen. »Offenbar haben einige Regierungen nichts aus den dramatischen Schicksalen von Ländern wie Irak oder Afghanistan gelernt«, bedauerte Boukraa.
Angesichts der wirtschaftlichen und politischen Schwäche der Sahelländer sei es illusorisch zu glauben, dass sie von Allianzen mit westlichen Regierungen profitieren könnten. Einzige Nutznießer seien transnationale Konzerne und islamistische Extremisten. Dieser Bedrohung, die auch für Europa reell sei, könne nur mit einer abgestimmten Vorgehensweise begegnet werden. Neben der schnellen Bekämpfung der militärischen Gefahr müsse vor allem langfristig etwas getan werden. Dies gelinge nur durch mehr Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. »Erst wenn die Sahelbewohner genug zu essen und sauberes Trinkwasser haben, wenn sie ein Leben in Würde führen können, haben auch Terroristen in der Region keine Chance mehr«, sagte Boukraa.
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