Widerstand gegen ein desaströses Projekt

Alex Gordon, Chef der Gewerkschaft RMT, warnt vor aufgeweichten Sicherheitsregeln

  • Lesedauer: 3 Min.
Die Liberalisierung im EU-Schienenverkehr macht's möglich: Schon 2012 soll der deutsche ICE direkt nach Großbritannien fahren. Am Mittwoch dieser Woche fuhr ein ICE erstmals zum Test einen Kilometer weit in den Eurotunnel, bevor er wieder zurückfuhr. In der Nacht von Samstag auf Sonntag soll dann eine erste Evakuierungsübung stattfinden, bevor der von Siemens gebaute ICE – noch ohne Passagiere – weiter zum Londoner Bahnhof St. Pancras fährt. Dies ist eine Premiere: Bisher fuhren nur die eigens dafür konstruierten Eurostar-Züge der französischen Firma Alstom durch den Eurotunnel.
Alex Gordon ist Präsident der National Union of Rail, Maritime and Transport Workers (RMT).
Alex Gordon ist Präsident der National Union of Rail, Maritime and Transport Workers (RMT).

ND: Die Deutsche Bahn AG (DB) möchte eine Direktverbindung zwischen Frankfurt am Main und London in Betrieb nehmen. Was ist der Hintergrund?
Gordon: Die DB bekundet regelmäßig ihre Entschlossenheit, beim internationalen Eisenbahnbetrieb nach London mitbieten zu wollen. Dieser wird seit 1994 exklusiv von Eurostar, einer als Joint Venture zwischen den staatlichen Eisenbahnen Großbritanniens, Belgiens und Frankreichs geborenen Firma, betrieben. Seit Kurzem ist Eurostar International eine eigenständige unternehmerische Einheit, mit 55 Prozent Anteilsmehrheit in den Händen der französischen Eisenbahngesellschaft SNCF.

Unterstützt durch das Lissabon- Abkommen, welches die staatliche Transportsouveränität einschränkte, ist der DB-Konzern in einen Kampf mit SNFC involviert. Es geht darum, wer der größte Monopolist im europäischen Markt wird, in dem es keine soziale, demokratische und öffentliche Rechenschaftspflicht gibt. Das ist gefährlich.

Die Deutsche Bahn AG will eine Testfahrt mit einem ICE durch den Tunnel durchführen. Welche Probleme sieht die RMT dabei?
Natürlich kennen wir die Probleme des ICE, wir erinnern uns an das Unglück von Eschede 1998. Was den Tunnel betrifft, sind die Eurostar-Züge extra für den Einsatz in dieser »atypischen Umgebung« gebaut worden. Alle 400 Meter gibt es im Tunnel Notausgänge, die zur Evakuierung benutzt werden können. Die Eurostar-Züge sind darauf zugeschnitten, eine sichere Evakuierung zu ermöglichen. Die existierenden Siemens-ICE-Züge sind viel kürzer, was das Risiko im Fall einer Brandevakuierung erhöht.

Unsere grundsätzliche Forderung lautet: Neue Züge dürfen nicht unsicherer als die Eurostar Züge sein.

Die RMT behauptet, dass die DB Lobbyarbeit betreibt, um die Sicherheitsstandards zu ändern. Können Sie dies konkretisieren?
Im Februar erfuhren wir durch die »Financial Times« von einer Diskussion über Aufweichungen von Sicherheitsvorschriften für Passagiertransport durch den Tunnel. Unter anderem sollen mehrere Züge aneinander gekoppelt werden, was Menschen daran hindern würde, durch einen Zug hindurch vor einem Feuer zu flüchten. Dies ist derzeit möglich. Selbst die Verwendung von Dieselzügen im Tunnel wird angedacht! Uns ist klar, dass nur einer von einer Aufweichung der Sicherheitsregeln profitiert, und dass ist die Deutsche Bahn.

Wie wird die RMT nun vorgehen?
Wir sind gegen jede Absenkung der Sicherheitsstandards und werden unsere Aktivitäten mit anderen Gewerkschaften für Eisenbahnarbeiter und Rettungskräfte in Großbritannien, Frankreich und Belgien koordinieren. Deshalb wollen wir für Januar 2011 eine internationale Konferenz organisieren, um unsere Analyse zu schärfen. Wir wollen damit helfen, den Widerstand von Arbeiterorganisationen gegen dieses desaströse Projekt aufzubauen.

Interview: Christian Bunke

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