Mision cumplida – Mission erfüllt
Glücklicher Ausgang des Dramas in der chilenischen Mine San José
Luis Urzúa Iribarren, 54 Jahre alt, ist Bergmann seit mehr als 30 Jahren. Er war Schichtleiter der »mineros«, als der Stollen am 5. August einstürzte. Ihm oblag es, die Überlebenschancen seiner Männer zu wahren. Urzúa erkundete zusammen mit einigen Kumpeln die Lage, zeichnete Orientierungskarten für die Stollen und Gänge der Gold- und Kupfermine, stellte Stundenpläne für die Verschütteten auf und rationierte die Lebensmittelvorräte: für jeden zwei Löffel Thunfisch und ein halbes Glas Milch – das aber nur alle zwei Tage, bis nach quälenden 17 Tagen die erste Rettungsbohrung zu den Eingeschlossenen vordrang.
Als der regelmäßige Kontakt zur Außenwelt hergestellt war, tat der Vater zweier erwachsener Kinder die Hoffnung seiner Kumpel kund: »Unter einem Meer von Felsen hoffen wir, dass sich ganz Chile anstrengt, um uns aus dieser Hölle rauszuholen.« Als es endlich so weit war, fuhr Luis Urzúa natürlich als letzter nach oben.
Jubelstürme über ganz Chile
Genau 22 Stunden und 39 Minuten nach ihrem Beginn war die Bergung der 33 Bergleute aus mehr als 600 Meter Tiefe vollbracht. Es war einer der in diesen Stunden zahllosen bewegenden Momente, als sich Urzúa und Chiles Präsident Sebastian Piñera in die Augen schauten. »Herr Präsident, ich übergebe Ihnen die Schicht und hoffe, dass so ein Unglück niemals wieder geschehen wird«, sagte der Bergmann, dem ein wesentliches Verdienst daran zuzusprechen ist, dass die Kumpel in den 69 Tagen in der »Hölle« so diszipliniert zusammengehalten hatten. »Die Tage, die wir so hart gekämpft haben, waren nicht umsonst«, sagte Urzúa.
Piñera hielt noch am Schacht eine pathetische Dankesrede an die Bergleute, die Rettungskräfte und die Nation. Chile sei nicht mehr das gleiche Land wie vor 69 Tagen, sagte er, das Land sei geeinter und stärker und werde in Welt mehr respektiert und geschätzt. Die Bergleute hätten ein leuchtendes Beispiel an Mut, Loyalität und Kameradschaft gezeigt. »Es lebe Chile!«, rief er und stimmte gemeinsam mit Urzúa die Nationalhymne an. Über dem Zeltdorf »Campo Esperanza« stiegen 33 Luftballons in den Nationalfarben Rot, Weiß und Blau in den Himmel.
Aber nicht nur dort, sondern im ganzen Land brach ein Freudentaumel los. In der 200 000 Einwohner zählenden Stadt Copiapó, knapp 45 Kilometer von der Mine entfernt, herrschte Karnevalsstimmung. Landauf, landab feierten tausende Menschen auf den Straßen der Städte. In der Hauptstadt Santiago versammelten sich die Menschen auf der Plaza Italia.
Die sechs noch unter Tage verbliebenen Rettungskräfte hielten wenige Minuten nach der Bergung des letzten Kumpels ein Schild in die Kamera. »Mision cumplida. Chile« (Mission erfüllt. Chile), war darauf zu lesen. Die Sechs waren nach und nach zur Unterstützung der Bergleute in die Tiefe hinabgelassen worden. Der letzte von ihnen, Manuel Gonzalez, wurde kurz nach Mitternacht, 00.32 Uhr Ortszeit (05.32 Uhr MESZ), mit der »Phönix 2« aus dem Schacht gezogen.
Die Bergungsaktion war weitaus schneller als angekündigt beendet, da sich die Rettungskapsel viel weniger im Schacht gedreht hatte, als das zunächst angenommen worden war. Das ermöglichte schnellere Auf- und Abfahrten. Zeitweise betrugen die Abstände, in denen die Verschütteten aus der Kapsel stiegen, nur 25 Minuten.
Piñera bezifferte die Kosten der Rettungsaktion auf 10 bis 20 Millionen Dollar (7 bis 14 Millionen Euro) Ein Drittel könne durch private Spenden abgedeckt werden, zwei Drittel übernähmen der Staat und die staatliche Kupfergesellschaft Codelco, erklärte der Präsident. Die Regierung hatte wiederholt versichert, Geld spiele bei der Bergungsaktion keine Rolle.
Die Mine hätte nicht in Betrieb sein dürfen
Am Ende kündigte der Staatschef abermals an, dass die Verantwortlichen des Unglücks zur Rechenschaft gezogen werden. »Vom ersten Tag an haben wir gesagt, dass dies nicht unbestraft bleiben wird.« Allen Chilenen und der Regierung sei eine große Lektion erteilt worden, die Sicherheit müsse nicht nur in den Bergwerken, sondern in allen Arbeitsbereichen verbessert werden. »Ich hoffe, dass ich schon in wenigen Tagen einen neue Vereinbarung mit den chilenischen Arbeiterinnen und Arbeitern verkünden kann.«
Die Familie des Bergmanns Raúl Bustos hatte noch vor der Bergung eine Anzeige gegen die Eigentümer der Mine, Marcelo Kemeny und Alejandro Bohn, erstattet. Ebenso wie gegen Patricio Leiva, den ehemaligen Angestellten der staatlichen Minenbehörde Sernageomin, der die offizielle Genehmigung für die Wiederinbetriebnahme der Mine San José erteilt hatte. Der Betrieb der Mine war wegen Unfällen und Sicherheitsmängeln wiederholt eingestellt worden.
Die Familie Bustos will vom Gericht die Vermögenswerte der drei Beschuldigten feststellen lassen, damit die Betroffenen auf dieser Basis Schadensersatzklagen einreichen können. »Wir wollen, dass nicht der Mantel des Schweigens über die ausgebreitet wird, die persönlich für diese Tragödie verantwortlich sind«, hatte ihr Rechtsanwalt Remberto Valdés erklärt. Deshalb soll auch Einsicht in die Unterlagen und Dokumente erwirkt werden, auf deren Grundlage die Aufsichtsbehörde die Betriebsgenehmigung erteilt hatte.
»Es war die schlimmste Mine, in der ich gearbeitet habe«, berichtete Gino Cortés. Er hatte schon Anfang Juli bei einem Unfall in der Mine San José einen Teil seines linken Beines verloren. 18 Monate hatte er bis dahin für das Unternehmen gearbeitet. Die meisten der 33 geretteten Bergleute kennt er persönlich. »Hätte es eine ordnungsgemäße Überprüfung gegeben, hätte die Mine gar nicht in Betrieb sein dürfen«, ist Cortés überzeugt.
Dort, wo ihm der Felsbrocken auf das Bein gefallen war, hätte die Stollenwand verstärkt sein müssen. »Aber das war sie nicht«, beklagt Gino Cortés. Nach seinem Unfall habe weder die Regierung etwas für ihn unternommen, noch hätten sich die Eigentümer der Mine mit ihm in Verbindung gesetzt. Jetzt muss der 40-Jährige mit einer kleinen Invalidenrente seine fünfköpfige Familie ernähren. Vor Gericht will er um eine Entschädigung streiten.
Wir brauchen nicht erst Tragödien, damit wir uns füreinander interessieren. Bildlich gesprochen möchte ich sagen, dass es noch viele Menschen in vielen Teilen der Welt gibt, die verschüttet sind, und die wir nicht sehen. Und wir könnten ihnen helfen, wenn wir eine Ethik hätten, wie sie die Welt gegenüber den paar chilenischen Bergleuten entfaltet hat. Dies ist die erste Lektion: Dass die Solidarität lebt, und dass sie nicht so dramatische Momente bräuchte, um sich zu zeigen.
Der chilenische Schriftsteller Antonio Skármeta in einem dpa-Gespräch
Schlagzeilen
»Gott ist ein Kumpel« (Berliner Kurier)
»Ein bisschen wie die Mondlandung« (Wiesbadener Kurier)
»Viva Chile!« (Frankfurter Neue Presse)
»Schichtende in San José« (Berliner Morgenpost)
»Zurück im Leben« (Frankfurter Rundschau)
»Held der Tiefe« (Wiesbadener Tagblatt)
»Aus dem Berg gerettet: Tageslicht nach 70 Nächten« (die tageszeitung)
»Die Welt umarmt Euch« (B.Z.)
»Frei!« (Abendzeitung, München)
»Das Wunder« (tz, München)
»Gott hat gewonnen« (Die Welt)
»Die Welt umarmt die Kumpel« (Hamburger Abendblatt)
»Die Welt freut sich mit Chile« (Berliner Zeitung)
»Die Welt jubelt mit Chile« (Münchner Merkur)
»Welt bejubelt Wunder von San José« (Süddeutsche Zeitung)
»Jubel in Chile über gerettete Bergleute« (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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