Straßensperren in Neapel
Einwohner protestieren gegen ungelöste Abfallprobleme / Gesundheitsgefahren befürchtet
Etwa 1000 Tonnen Müll liegen in den Straßen von Neapel. Jede Nacht errichten die Bürger von Tersigno Straßensperren, um die Laster daran zu hindern, ihre stinkende Fracht in der lokalen Halde abzuladen. Die Bürgermeister der Gegend haben an die Regierung in Rom geschrieben und darauf hingewiesen, dass die Lage für die öffentliche Gesundheit nicht mehr tragbar ist.
Kinder auf dem Schulweg laufen zwischen aufgerissenen Müllsäcken Slalom. Ladenbesitzer müssen sich am Morgen den Weg zu ihrem Geschäft erst einmal zwischen dem Abfall freischaufeln. Frauen errichten Straßensperren und bewerfen Müllmänner und Polizisten mit Steinen und Feuerwerkskörpern.
Die Lage in Neapel und den umliegenden Gemeinden ist immer weniger tragbar und verschlechtert sich seit Monaten permanent. Und wieder einmal sind der Müll und seine Beseitigung das Hauptproblem in der Hafenstadt.
Man erinnert sich daran, dass die Regierung Berlusconi bei ihrem Antritt vor zwei Jahren versprochen hatte, die Stadt zu säubern und das Abfallproblem ein für alle mal zu beseitigen. Man hatte drei hochmoderne Verbrennungsanlagen versprochen und als Zwischenlösung eine Deponie im Naturschutzpark am Hang des Vesuvs eingerichtet. Die Realität ist heute aber eine andere. Von den drei versprochenen Anlagen funktioniert nur eine – und auch das nur ab und zu. Und die Halde bei Tersigno, mitten in einem Naturschutzgebiet, ist so voll, dass man jetzt daneben eine zweite einrichten will.
Es war versprochen worden, in den Deponien nur vorher sortierten Haushaltsmüll abzuladen: In Tersigno findet man aber tatsächlich ungetrennt Papier, Plastik, Bauschutt und Fabrikabfälle, dazu hochgiftige Stoffe und sogar radioaktives Material, das wahrscheinlich aus Krankenhäusern kommt. Der Gestank ist vor allem für die Menschen unerträglich, die direkt an der Deponie wohnen. Auch das Gesundheitsrisiko wird immer akuter: Zum einen in Neapel, wo sich der Müll türmt, aber auch in Tersigno und Umgebung. Keiner weiß genau, was in der Luft ist, die man tagtäglich einatmen muss – das Gesundheitsamt hat schon vor Monaten mit den Erhebungen aufgehört.
Klar ist aber, dass das Grundwasser stark verschmutzt, wenn nicht sogar verseucht ist. Der Wein, der an den Hängen des Vulkans angebaut wird, stirbt, wenn man ihn bewässert, und die Kühe und Büffel, aus deren Milch man den weltberühmten Mozzarella-Käse gewinnt, fressen Gras und Heu, das wahrscheinlich alles andere als gesund ist. Aber so genau möchte es eigentlich niemand wissen, weil man die möglichen Ergebnisse von wissenschaftlichen Analysen fürchtet und sie erst gar nicht durchführt.
Die Bürger protestieren fast schon verzweifelt. Jede Nacht errichten sie Straßensperren auf den Zufahrtswegen zur Deponie und gehen mit Eisenstangen und Feuerwerkskörpern auf die Müllwagen und die Polizeiautos los, die sie eskortieren. Rund um das Städtchen Tersigno stehen etwa 60 voll beladene Lastwagen, die ihre Fracht nicht loswerden und von den Fahrern bewacht werden – sollte ihr Fahrzeug beschädigt werden oder in Flammen aufgehen, würden sie ihren Arbeitsplatz verlieren.
Keiner will für das Desaster verantwortlich sein. Die Gemeinden schieben es auf die Region und die auf die Regierung. Und Berlusconi, der vor drei Jahren fast täglich in Neapel auftauchte, lässt sich jetzt nicht mehr blicken. Einem Mitarbeiter soll er gesagt haben: »Ich fahre erst in die Gegend, wenn ich vom Finanzminister neue Mittel bekommen habe.« Angesichts der verheerenden Finanzlage Italiens wird das wohl erst einmal nicht eintreten.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.