Auftakt für Aktionswochen
Gewerkschaften protestieren bundesweit gegen Sozialabbau
Rente mit 67, ausufernde Leiharbeit, fehlende Übernahme von Ausgelernten, drohende Entlassungen nach Kurzarbeit, Kopfpauschale – die Liste der Themen ist lang, die Gewerkschafter auf die Straße treibt. In diesem Herbst wollen sie der Bundesregierung zeigen, dass deren Pläne nicht kampflos hingenommen werden. Zum Auftakt der kommenden Aktionswochen mobilisierten IG Metall und ver.di in Baden-Württemberg für die ersten dezentralen Demonstrationen. So gingen in Esslingen bei Stuttgart mehr als 1000 Metaller während der Arbeitszeit auf die Straße. Im Nachbarort Nürtingen ebenfalls, in Ulm waren es laut Gewerkschaft 1500, bei Bosch in Reutlingen 1800, in Stuttgart aktivierte ver.di um die 1500 Menschen für betriebliche Aktionen und Kundgebungen.
Im November wird es mehrere Großdemonstrationen geben, doch vor allem sollen die Themen in die Betriebe und Gemeinden getragen werden, sagte der DGB-Vorsitzende Michael Sommer bei der Kundgebung in Esslingen: »Redet mit den Kollegen, erklärt ihnen, was die in Berlin vorhaben, damit nachher niemand fragen kann: Warum habt Ihr uns nicht gewarnt?« Bei allen Sparplänen der schwarz-gelben Koalition geht es laut Sommer letztlich darum, dass »die kleinen Leute die Folgen der Krise tragen sollen«. Anstatt diejenigen heranzuziehen, die das Land mit ihren Finanzgeschäften fast in den Ruin getrieben haben, werde bei Hartz-IV-Empfängern gespart; wuchernde Leiharbeit drückt die Löhne, der Jugend fehlt Perspektive. Bei der Krankenversicherung sollen die Versicherten allein die Mehrkosten zahlen, die Arbeitgeber kommen ungeschoren davon. Die Rente mit 67, die im Herbst zur Überprüfung ansteht, sei nur eine Rentenkürzung. »Die meisten können doch gar nicht so lange arbeiten oder sie werden rausgeschmissen, weil die Unternehmer olympiareife Mannschaften haben wollen und keine erfahrenen Belegschaften«, so der DGB-Chef. Er erinnerte an den Absturz der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder, die nach ihren neoliberalen Reformen bei 23 Prozent gelandet war: »Wo sollen Sie denn hin, Frau Merkel?«
In Esslingen trieben vor allem drohende Entlassungen die Arbeiter auf die Straße. In fünf Betrieben läuft demnächst die Kurzarbeit aus. Der Drehmaschinenhersteller Index/Traub (2000 Beschäftigte) will dann 280 Mitarbeiter entlassen. »Diese Kollegen haben die meisten Opfer für die Firma gebracht«, erinnerte der Esslinger IG-Metall-Chef Sieghard Bender. »Ausgerechnet sie sollen nun gehen. Das wollen und müssen wir verhindern.« Dort, wo das Geschäft wieder brummt, »werden keine normalen Einstellungen vorgenommen, nur befristete oder es gibt Leiharbeit«, so Bender.
Vor allem trifft es junge Facharbeiter. Auf dem Höhepunkt der Krise übernahmen zahlreiche Firmen ihre Ausgelernten gar nicht oder nur für ein Jahr. Sie stehen demnächst vor der Tür. »Dann können wir uns für Afghanistan verpflichten oder für sieben Euro Stundenlohn bundesweit in die Leiharbeit gehen«, befand Ertan Kütük, Jugend- und Auszubildendenvertreter von Index. »Die Regierung redet über Fachkräftemangel, gleichzeitig wirft sie uns den Leiharbeitsfirmen zum Fraß vor.«
Stuttgart 21 durfte natürlich nicht fehlen. Gangolf Stocker vom Aktionsbündnis gegen das Bahnhofsprojekt analysierte Parallelen im Protest. So wie die Bundesregierung mit ihren Sparplänen gegen große Teile der Bevölkerung regiere und für die Interessen von Wirtschaftslobbys arbeite, sollten bei Stuttgart 21 gegen die Bürger ein Immobilienprojekt durchgezogen werden. Doch das funktioniere nicht mehr. Stocker: »Dass es den Konzernen Angst macht, wenn das Volk mitreden will, verstehe ich.«
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