Chiles Minenarbeiter drängen auf mehr Sicherheit
Bergbaugewerkschaft fordert schnelle Unterzeichnung des Abkommens Nr. 167 der ILO
Die Solidarität der Geretteten und ihrer Angehörigen gilt den Kollegen ohne mediale Verkaufbarkeit: »Wir sind sehr besorgt, was nun mit diesen Arbeitern geschieht«, sagt Angélica Álvarez, Ehefrau des Bergmanns Edison Peña, der zwei Monate eingeschlossen unter der Erde verbrachte. Wie in den meisten Bergarbeiterfamilien arbeiteten mehrere ihrer Angehörigen in der Mine. »Während alle Welt auf das Schicksal der 33 schaute, sind die übrigen Arbeiter schlichtweg vergessen worden. Das Dringendste ist, dass den Männern die ihnen zustehende Abfindung ausgezahlt wird. Genauso gravierend ist aber auch, dass fast niemand der Bergleute Arbeitsunterlagen besitzt, die ihre Erfahrungen belegen und mit denen sie sich anderswo vorstellen könnten. Auch wenn die Unglücksmine San José nun geschlossen ist, müssen sie in eine risikoreiche Arbeitswelt zurückkehren«, betont Álvarez.
Dies bestätigt auch José Leiva, Experte für Sicherheit im Bergbau. »Die meisten mittelgroßen Minen zeichnen sich durch ähnlich unsichere Arbeitsbedingungen wie San José aus. Die Minenarbeiter verdienen viel besser als alle anderen unausgebildeten Arbeiter, aber sie arbeiten in einer Umwelt, die sehr viel mehr konkrete Risiken birgt, r auch gesundheitliche Spätfolgen durch mangelnde Schutzkleidung.« In den großen Bergwerksunternehmen, wo Sicherheitsvorschriften strenger eingehalten werden, finden hingegen nur Fachleute Arbeit. Junge unausgebildete Arbeitskräfte, aber auch erfahrene Bergleute ohne eine technische Spezialisierung haben dort kaum eine Chance.
»Wir verlangen, dass den jungen Arbeitern der geschlossenen Mine Weiterbildungen bezahlt werden, damit sie eine bessere Arbeit finden können. Die älteren Arbeiter hingegen sollten eine Rente zugesichert bekommen, damit sie nicht wieder und wieder unter Tage müssen«, erklärt die Familienangehörige Álvarez. Anfang vergangener Woche besetzten die arbeitslosen Bergleute die Überlandstraße nach Copiapó, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen.
Vor dem Zusammenkommen von Minenarbeitern und Familienangehörigen im Camp Esperanza hatte es nur begrenzt eine gewerkschaftliche Organisierung in der für Arbeitsunfälle bekannten Mine der Betreibergesellschaft San Estebán gegeben. »Es ist sehr schwierig, in mittelgroßen Minen wie dieser die Arbeiter zu organisieren«, berichtet José Castillo, Bergbaugewerkschaftsvorstand von Copiapó und Funktionär auf nationaler Ebene.
»Durch den sogenannten 7/7-Turnus ist es nicht zu bewerkstelligen, gemeinsame Versammlungen zu arrangieren, denn nie sind alle Arbeiter zugleich über Tage. Sieben Tage arbeiten die einen, dann sind die nächsten dran.« Eine gewerkschaftliche Organisierung sei auch deshalb schwierig, weil viele Subunternehmen eingesetzt werden, die auf bestimmte Arbeitsvorgänge spezialisiert sind, sodass ein großer Teil der Minenarbeiter nur temporär in einer bestimmten Mine arbeitet. »Nichtsdestotrotz haben wir in der Mine San José viel erreicht. Der Schutzraum, in dem die Bergleute überlebt haben, war erst auf Druck der Gewerkschaft hin entstanden.«
Nun setzt Castillo auf die ausstehende Ratifizierung des Abkommens Nr. 167 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über Sicherheit im Bergbau. »Dies wird es den chilenischen Minenarbeitern ermöglichen, die Implementierung von Sicherheitsmaßnahmen aus ihrer Perspektive heraus mit zu diskutieren und dabei ihre täglichen Arbeitserfahrungen in der Mine einfließen zu lassen«, erklärt der Gewerkschafter. »Gleichzeitig sind die Minengesellschaften dazu angehalten, ihren Arbeitern einen transparenten Zugang zu technischen Informationen über die Mine zu geben. Des Weiteren haben die Bergarbeiter mit dem Abkommen Nr. 167 ein Recht zu streiken, wenn weder Partizipation noch Transparenz gewährleistet sind, ohne Angst vor Entlassungen haben zu müssen.«
Die baldige Ratifizierung des Abkommens hat Präsident Sebastián Piñera vor seiner Reise nach Europa erneut bestätigt. Doch Skepsis bleibt: »Piñera macht uns Versprechungen«, sagt Carolina Lobos, Tochter des ehemals eingeschlossenen Minenarbeiters und Ex-Fußballspielers Franklin Lobos. »Aber ich traue ihm nicht; er ist und bleibt Unternehmer. Als Arbeiter sind wir doch nur Nummern für ihn.«
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