Rechtskonservatives Kalkül

Ministerpräsident Bouffier: Stimmungsmache und Vergangenheitsbewältigung

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.
Hessens neuer Ministerpräsident Volker Bouffier bleibt mit seiner rechtskonservativen Rhetorik sich und seinem Vorgänger Roland Koch treu und lenkt damit auch vom Schatten der eigenen Vergangenheit ab.

Dass sich der neue hessische Ministerpräsident und CDU-Landeschef Volker Bouffier in diesen Tagen um ein stramm konservatives Profil bemüht, ist nicht verwunderlich. Schließlich möchte er beim CDU-Bundesparteitag Mitte November in Karlsruhe in die Fußstapfen seines Vorgängers Roland Koch treten und zum Stellvertreter der Parteivorsitzenden Angela Merkel gewählt werden. Und für ein gutes Ergebnis benötigt er gerade auch die Stimmen der Rechtskonservativen in der CDU. Zudem dürften Bouffiers rechte Sprüche auch ein Stück weit der Ablenkung von neuen Skandalen aus seiner über elfjährigen Amtszeit als hessischer Innenminister dienen.

So gratulierten Bouffier und CDU-Fraktionschef Christean Wagner am Wochenende demonstrativ der wiedergewählten Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach. Die Frankfurter CDU-Bundestagsabgeordnete hatte unlängst ihren Rückzug aus dem CDU-Bundesvorstand angekündigt und bemängelt, dass sie keinen Rückhalt in der Partei mehr habe. Bouffier weiß, dass er zur Stabilisierung seines Landesverbandes gerade auch Persönlichkeiten wie Steinbach bei der Stange halten muss, um auszuschließen, dass sie zu Gallionsfiguren einer neuen konservativen Sammlungsbewegung werden.

So ist es auch nicht verwunderlich, dass Bouffier dieser Tage in einem FAZ-Interview explizit vor einer »Massenzuwanderung, etwa aus der Türkei« warnte, weil dies die Gesellschaft nicht vertrage. Dabei seien Integrationsprobleme nicht nur im Bereich der Bildung begründet, argumentierte Bouffier, denn schließlich fänden sich die »härtesten Integrationsverweigerer unter Muslimen« gerade auch unter »Menschen mit Hochschulbildung«, behauptete Bouffier.

Damit handelte sich der Christdemokrat heftige Kritik ein. »Wer ohne Not in der derzeit aufgeheizten und emotional geführten Diskussion vor einer Massenzuwanderung vor allem aus der Türkei warnt, verkennt die Realität in Deutschland und nährt Stammtischparolen«, gab Corrado Di Benedetto vom Landesausländerbeirat zu bedenken. Mit dem integrationspolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Ismail Tipi, wagte sich erstmals auch ein CDU-Politiker mit Kritik an den Bouffier-Äußerungen aus der Deckung. Der in der Türkei geborene Parlamentarier lobte den »Beitrag qualifizierter Arbeitskräfte für die wirtschaftliche Entwicklung« in Deutschland. Rund 80 000 türkischstämmige Geschäftsleute beschäftigten bundesweit etwa 400 000 Menschen und erzielten einen jährlichen Umsatz von 35 Milliarden Euro, argumentierte Tipi.

Rhetorische Ablenkungsmanöver?

Beobachter sehen in Bouffiers rechter Rhetorik aber auch einen plumpen Versuch, mit dem das Interesse von einem neuen Skandal in Hessen um schwarze Personalakten und Mobbing gegen missliebige Polizeibeamte abgelenkt werden soll. So berichteten regionale Medien über Klagen hessischer Polizeibeamter gegen die Behandlung durch ihre Vorgesetzten. Etlichen betroffenen Beamten, die sich gegen »negative Bewertungen« und Mobbing durch Vorgesetzte gewehrt hätten, seien die Dienstwaffen weggenommen und gleichzeitig die Einsicht in die entsprechenden Personalakten verweigert worden.

In diesem Zusammenhang erklärte ein Oberkommissar, man habe ihm mit einer Überweisung zum Psychiater gedroht. Er habe deshalb befürchten müssen, als »Querulant« oder »paranoid« abgestempelt zu werden, so der Betroffene. Ein weiterer Polizist sprach von 70 Fällen, in denen Berufskollegen schikaniert und aus dem Dienst gemobbt werden sollten.

Parallelen zu früherem Skandal

Zwar hat inzwischen Landespolizeipräsidenten Norbert Nedela Berichte über schwarze oder geheime Akten als »unzutreffend« zurückgewiesen. In Einzelfällen gebe es allenfalls Aktenbestandteile, durch deren Einsicht Persönlichkeits- oder Schutzrechte Dritter erheblich geschädigt werden könnten, so Nedela. Doch damit gab sich die Landtagsopposition nicht zufrieden. So zog der LINKEN-Abgeordnete Hermann Schaus Parallelen zu Vorgängen in hessischen Finanzämtern, wo zu Beginn des Jahrzehnts Steuerfahnder, die mit der sensiblen Kontrolle der Geschäftsbücher von Frankfurter Großbanken beschäftigt waren, mittels »Gefälligkeitsgutachten« aus dem Amt gedrängt wurden. Es stehe nach wie vor der schwerwiegende Verdacht im Raum, dass es analog zu dem Vorgehen gegen hessische Steuerfahnder zu vergleichbaren Fällen bei der hessischen Polizei gekommen sei, so Schaus.

Nedela gehe völlig unangemessen mit der Kritik von Polizeibeamten an den Führungsstrukturen in der Polizei um, bemängelte auch der Grünen-Abgeordnete Mathias Wagner. Um den Verdacht auszuräumen, dass der Landespolizeipräsident absichtlich oder aufgrund von Inkompetenz die Unwahrheit gesagt habe, müsse Innenminister Boris Rhein klarstellen, ob er »die übertriebene Hierarchisierung der Polizei fortsetzen« wolle, die maßgeblich vom früheren Innenminister Bouffier und Nedela betrieben worden sei.

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