Senken Polizisten die Mordquote?

Verónica Corchado über die Gewalt im mexikanischen Ciudad Juárez / Corchado ist Sozialarbeiterin und seit 20 Jahren in verschiedenen sozialen Initiativen in Ciudad Juárez (Mexiko) aktiv

  • Lesedauer: 3 Min.
Fragwürdig – Senken Polizisten die Mordquote?

ND: Ciudad Juárez gilt als gefährlichste Stadt der Welt. Im Mai wurde auf Druck der Zivilgesellschaft das Militär abgezogen und durch Bundespolizisten ersetzt. Ist seitdem die Mordquote gesunken?
Corchado: Leider nein, die Mordquote ist stabil und auch an der Militarisierung meiner Heimatstadt hat sich nichts verändert. Es macht kaum einen Unterschied, ob es das Militär oder die Bundespolizei ist, die patrouillieren.

Patrouillieren ist das eine, aber die Polizeikräfte sollen doch auch ermitteln. Gibt es mehr Aufklärung?
So weit ich es aus meiner täglichen Arbeit weiß, wird nicht oder nur sehr wenig ermittelt. Viele der Jugendlichen, mit denen wir arbeiten, beschweren sich zudem darüber, dass die Bundespolizisten sie verdächtigen, kontrollieren und diskriminieren. Ich sehe kaum einen Unterschied zwischen der lokalen Polizei, der Bundespolizei und dem Militär. Aufklärung hat keine Priorität.

Aber hat die Bundespolizei nicht die Aufgabe, Verantwortliche für die Morde und den latenten Terror aufzuspüren?
Ja, aber sie untersucht nicht, sie verdächtigt, verhaftet und beschuldigt. Es gibt Fälle, wo Geständnisse erpresst wurden, wo Menschen gefoltert wurden, um sie anschließend als Täter zu präsentieren. Wenn man derartige Fälle unter die Lupe genommen hat, dann sind die vermeintlichen Beweise oft sehr dünn gewesen. Es fehlt an Untersuchungsbeamten, an Ermittlungskapazitäten ….

Investiert man denn in die Vorbeugung, in die Jugendarbeit?
Das ist eine zentrale Forderung der Nichtregierungsorganisation »Pacto por la Cultura«. Wir engagieren uns in den Stadtvierteln, arbeiten mit den Jugendlichen. Die Regierung hat jedoch einen anderen Ansatz. Sie baut hier und da eine Schule, was gut und richtig ist, aber sie investiert nicht in die Köpfe, investiert nicht in Jugendzentren und schafft keine Perspektiven für die Jugend. Das ist jedoch nötig, um den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen und an diesem Punkt versteht uns die Regierung nicht.

Aber es waren doch unzählige Regierungsbeamte in Ciudad Juárez, um sich zu informieren.
Ja, dafür wurden Millionen Peso ausgegeben, aber sie haben nichts verstanden und de facto hat sich nichts verändert.

Es gibt Organisationen, die Jugendliche begleiten, um sie zu schützen. Ist das nötig?
Ja, leider. Auch ich bin in einigen Stadtvierteln mit Jugendlichen unterwegs, weil sie Angst vor Polizeikontrollen haben.

Wie verhält sich die Bevölkerung?
Sie ist frustriert und verärgert. Sie glaubt der Regierung immer weniger und viele Menschen machen sie für die Sicherheitslage verantwortlich – und für das Los ihrer Kinder. Sie werfen ihr Untätigkeit und Konzeptlosigkeit vor – denn die Militarisierung hat alles verschlimmert.

In vielen Stadtvierteln kennen sich die Leute kaum, weil sie zugewandert sind – macht das die Arbeit von »Pacto por la Cultura« schwieriger?
Ja. Wir gehen von Tür zu Tür und versuchen die Leute bekannt zu machen, sie zu motivieren, Gemeinschaft auszubauen. Das ist ein wichtiger erster Schritt. Schreib- und Theaterwerkstätten, Hip-Hop-Kurse und Gemeinschaftsaktionen sind unsere Instrumente. Es gibt viele Gruppen, die aktiv sind – aktiv für ein anderes Juárez

. Fragen: Knut Henkel

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